Die Angriffe im September 1991 richteten sich gegen Unterkünfte von mosambikanischen Vertragsarbeitern und Asylsuchenden. Tagelang belagerten Neonazis und BürgerInnen deren Wohnheime. In den Zeitzeugenvideos berichten Betroffene, Anwohner, Besucher eines linken Jugendclubs und andere Beteiligte von ihren Erinnerungen und Erfahrungen. Eine Chronik zeichnet den Verlauf der Ereignisse nach.

Filme

Beginn der Angriffe auf die Mosambikaner

Pressefotograf Gerd Fügert berichtet vom ersten Tag der Angriffe auf das Wohnheim der mosambikanischen Vertragsarbeiter. David Macau gehörte zu den Angegriffenen. Er lebt seit 25 Jahren wieder in Maputo/Mosambik. Das Pogrom von Hoyerswerda konnte er nie vergessen.

Alle Fotos wurden freundlicherweise von Gerd Fügert zur Verfügung gestellt.

Ein Interview mit David Macau aus dem Jahr 1993 ist weiter unten auf dieser Seite veröffentlicht (Titel: "Sie haben uns geschlagen. Wir gehen nach Hause, okay. Aber warte ab, ob es denen dann besser geht").

Angriffe auf das Wohnheim der Vertragsarbeiter

1991 griffen Neonazis unter dem Beifall von BürgerInnen das Wohnheim der Vertragsarbeiter in Hoyerswerda an. Die Ausschreitungen dauerten mehrere Tage. Einer der mosambikanischen Bewohner und zwei deutsche Nachbarn beschreiben die Angriffe.

Ein Jugendclub während der Angriffe

Der Jugendclub "Laden" lag in unmittelbarer Nähe des Wohnheims für Vertragsarbeiter in Hoyerswerda. Zwei Aktive des "Ladens" schildern ihre Erinnerungen an den Herbst 1991.

Angriffe auf Asylsuchende

Nachdem das Wohnheim der Vertragsarbeiter in Hoyerswerda angegriffen wurde, zogen Neonazis und BürgerInnen auch vor die städtische Unterkunft der Asylsuchenden. Ein ehemaliger Bewohner und der damalige Superintendent der evangelischen Kirche erinnern sich an die erste Nacht der Angriffe.

TV-Bericht: Hoyerswerda, September 1991

Fernsehbeitrag zu den Angriffen vom September 1991 und den bundesweiten Folgen. (Quelle: YouTube)

Fernsehbericht Hoyerswerda 1991

Ein Fernsehbericht aus Hoyerswerda im September 1991. (Quelle: YouTube)

TV-Beitrag vom September 1991

Aufnahmen von den Angriffen, den Betroffenen und dem Polizeieinsatz aus einem TV-Beitrag zum rassistischen Pogrom von Hoyerswerda 1991. (Quelle: YouTube)

Hintergrund

Chronik der Angriffe in Hoyerswerda

Nachfolgend werden die Abläufe der Geschehnisse vom Herbst 1991 detailliert geschildert. Bereits im Vorfeld hatte sich die ablehnende Stimmung gegenüber den in der Stadt lebenden MigrantInnen dramatisch zugespitzt. Nähere Informationen über jene Entwicklungen finden sich in weiteren Hintergrundtexten auf dieser Seite.

Dienstag, 17. September 1991

Gegen 14.00 Uhr beobachtet ein Streifenwagen eine Gruppe von etwa zehn Skinheads, die vor einer Kaufhalle im Stadtzentrum Alkohol trinken und neonazistische Musik hören. Da hinzugerufene Beamte darin kein ordnungswidriges Verhalten erkennen, ziehen sich die Polizisten nach kurzer Zeit wieder zurück. Am späten Nachmittag begeben sich die zumeist jugendlichen Personen auf den Wochenmarkt am Lausitzer Platz, beginnen Fahrräder zu demolieren, Passanten anzupöbeln und wenig später gezielt Menschen vietnamesischer Herkunft anzugreifen, die Zigaretten verkaufen. Umstehende Passanten verständigen daraufhin die Polizei, die gegen 17.20 Uhr erneut mit zwei Einsatzwagen am Ort eintrifft und im Umfeld sieben Beteiligte aufgreift. Die Stimmung unter den Rechtsradikalen ist aggressiv, es kommt zu Beleidigungen und Drohungen gegenüber den Beamten. Nachdem weitere Personen zur Gruppe hinzukommen und das Gerücht verbreiten, die vorher Attackierten hätten den Hund eines Angreifers getötet, stürmt die Gruppe erneut zum Lausitzer Platz. Die dortigen Vietnamesen flüchten daraufhin in Richtung des Vertragsarbeiterwohnheims auf der Albert-Schweitzer-Straße.

Die Angreifer begeben sich ebenfalls vor die Unterkunft und beginnen die Bewohner durch rassistische Parolen und Drohungen zu provozieren. Schnell wächst die Menschenmenge vor der Unterkunft auf etwa 40 Personen an, es kommt zu ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen, Scheiben am Gebäude werden eingeschlagen. Als die Polizei gegen 18.15 Uhr mit mehreren Streifenwagen eintrifft, wird auch sie aus der Menschenmenge u.a. mit Steinen beworfen und zieht sich zurück. Weitere Menschen strömen zur Gruppe vor dem Wohnheim und feuern die Angreifer an. Um 19.00 Uhr werden Polizeikräfte u.a. aus Bautzen, Kamenz und Görlitz zur Unterstützung verständigt. Die Angriffe auf die Unterkunft und die hinzugezogenen Polizeikräfte halten bis etwa 21.00 Uhr an. Acht Personen werden dabei verletzt, 12 Personen festgenommen.

Mittwoch, 18. September 1991

Gegen 17.00 Uhr versammeln sich etwa 100 vorwiegend jugendliche Deutsche vor dem Wohnheim der Vertragsarbeiter in der Albert-Schweitzer-Straße und rufen fremdenfeindliche Parolen. 40 bis 50 Personen, die von den eintreffenden Einsatzkräften als „harter Kern“ der Gruppe ausgemacht werden, werfen wiederum Scheiben der Unterkunft ein. Vereinzelt kommt es auch zu körperlichen Auseinandersetzungen mit einigen Bewohnern. Der Polizei, die mit etwa 70 Beamten (u.a. Beamte eines Sondereinsatzkommandos aus Dresden) vor Ort zusammengezogen wird, gelingt es schließlich, beide Gruppen zu trennen. Die Bewohner werden aufgefordert, sich in das Wohnheim zurückzuziehen. Ein Eindringen von Deutschen in das Gebäude kann durch die Polizei verhindert werden, jedoch eskaliert die Situation vor der Unterkunft erneut, nachdem Bewohner zur Verteidigung Gegenstände vom Dach werfen.

Um 19.30 Uhr ist die Gruppe vor dem Wohnheim bereits auf ca. 200 bis 250 Personen angewachsen. Vor allem AnwohnerInnen aus der unmittelbaren Nachbarschaft applaudieren den Angreifern und beteiligen sich teilweise ebenfalls an den Ausschreitungen. Vertreter des Landratsamtes und der Ausländerbehörde sowie ein örtlicher Pfarrer versuchen, auf die aufgebrachte Menge Einfluss zu nehmen. Es werden Drohungen ausgesprochen die Angriffe fortzusetzen und die Unterkunft anzuzünden, falls die Bewohner nicht weggebracht würden.

Die Situation entspannt sich erst gegen 22.00 Uhr, nachdem ein Großteil der Personen den Ort wieder verlassen hat.

Donnerstag, 19. September 1991

Bereits am Nachmittag versammeln sich die ersten Personen erneut vor dem Vertragsarbeiterwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße. Bis 17.30 Uhr wächst die Menge der Angreifer und Schaulustigen auf etwa 200 Personen an. Bereitschaftszüge der Polizei rücken aus und sichern die Zugänge zur Unterkunft, nachdem Jugendliche den Tank aus einem PKW herausgerissen und das Benzin zum Anfertigen von Molotowcocktails verwendet haben. Kurze Zeit später werden neben anderen Gegenständen erste Brandflaschen in den durch die Polizei gesicherten Außenbereich des Gebäudes geworfen.

Gegen 18.30 Uhr erfolgt die Anweisung an die rund 100 im Einsatz befindlichen Polizeikräfte, Personen aus der Menschenmenge vor der Unterkunft festzunehmen. In der Folge gelingt es den Beamten bei 12 Angreifern unter anderem Molotowcocktails und Schlagwaffen sicherzustellen. Um 19.45 Uhr fordert die Polizeiführung zusätzliche Verstärkung an, da die Einsatzkräfte massiv angegriffen werden. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich um die 500 Personen vor dem Wohnheim, weitere Brandsätze werden geworfen.

Gegen 21.30 Uhr hat die Polizei die Lage schließlich wieder unter Kontrolle, vereinzelte Angriffe halten jedoch noch bis Mitternacht an. Insgesamt werden 55 Personen festgenommen, die Polizei spricht von mindestens 17 Verletzten. Ein Beamter wird mit schweren Schnittverletzungen, einem Kieferbruch und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Einsatzleitung kommt im Nachgang zu dem Schluss, dass die Ausschreitungen in den Folgetagen anhalten und am darauffolgenden Samstag, dem 21.09.1991, einen Höhepunkt erreichen werden. Zudem geht sie von einem geplanten und zielgerichteten Vorgehen gegen die Polizeikräfte aus.

Freitag, 20. September 1991

Der amtierende Landespolizeidirektor Andreas Arnold besucht den Ort des Geschehens. Erstmals befinden sich nun drei Einsatzhundertschaften der Polizei auf Abruf, die das Vertragsarbeiterwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße weitläufig absperren sollen. Am Mittag findet im Landratsamt Hoyerswerda eine Krisensitzung statt, deren Ergebnis unter anderem die Übereinkunft einschließt, „dass eine endgültige Problemlösung nur durch die Ausreise der Ausländer geschaffen werden kann.“ Begründet wird dieser Entschluss insbesondere durch die breite Solidarisierung der BewohnerInnen aus der Nachbarschaft der Unterkunft mit den gewalttätigen Angriffen. Im Laufe des Tages werden zudem die letzten noch in Gewahrsam befindlichen Angreifer der vorangegangenen Tage wieder auf freien Fuß gesetzt.

Um etwa 17.30 Uhr gelingt es einer kleineren Personengruppe trotz der verschärften Sicherheitsmaßnahmen vor die Unterkunft in der Albert-Schweitzer-Straße zu ziehen. Erneut werden Scheiben am Gebäude eingeworfen. Daraufhin rücken gegen 18.00 Uhr Einsatzzüge der Polizei aus, um vereinzelte Menschenansammlungen im weiteren Umfeld aufzulösen. Ab 20.00 Uhr finden sich erneut über 100 Personen vor den Wohnheim ein, die Steine und Brandsätze werfen. Die Polizei räumt daraufhin die Albert-Schweitzer-Straße, wobei drei Personen festgenommen, jedoch kurze Zeit später wieder aus dem Gewahrsam entlassen werden.

Ab etwa 23.00 Uhr kommt es darüber hinaus erstmals zu einem Angriff auf das Wohnheim von Geflüchteten in der Thomas-Müntzer-Straße. Etwa 40 Personen werfen dabei Scheiben am Gebäude ein. Auch hier solidarisieren sich spontan NachbarInnen mit den Angreifern und helfen u.a. beim Anfertigen von Molotowcocktails, deren Einsatz wiederum durch andere Umstehende verhindert werden kann. Als die Polizeikräfte nach etwa 15 Minuten eintreffen, verlagern sich die Auseinandersetzungen in umliegende Straßen. Daraufhin versammeln sich etwa 70 BewohnerInnen der Unterkunft vor dem Eingang des Wohnheims und fordern zu ihrem Schutz eine sofortige Abreise nach Berlin.

Als sich die Lage gegen 1.00 Uhr zunehmend beruhigt, ziehen sie sich jedoch wieder in das Gebäude zurück.

Samstag 21. September 1991

Albert-Schweitzer-Straße

Auf einer zweiten Krisensitzung verständigen sich Polizei und Stadtverwaltung über eine Nachrichtensperre gegenüber der dpa, weshalb weitere MedienvertreterInnen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Hoyerswerda reisen, um zu berichten.

Gegen 14.00 Uhr wird die bereits seit längerem geplante Abreise von 60 Bewohnern des Vertragsarbeiterwohnheimes auf der Albert-Schweitzer-Straße vollzogen. Sie werden unter Polizeischutz mit Bussen aus der Stadt nach Frankfurt zur „freiwilligen“ Abschiebung nach Mosambik gefahren. 70 Personen, deren Arbeitsverträge noch bis Monatsende gültig sind, bleiben vorerst im Gebäude untergebracht.

Im Laufe des Tages versammeln sich erneut um die 150 Schaulustige vor der Unterkunft. Am frühen Abend spitzt sich die Lage vor dem Wohnheim zu, wiederum werden Scheiben eingeworfen.

Die Situation beruhigt sich jedoch gegen 21.30 Uhr, da sich die Angriffe nun zunehmend auf die Unterkunft für Asylsuchende in der Thomas-Müntzer-Straße verlagern.

Thomas-Müntzer-Straße

Am frühen Nachmittag wird auf Initiative von Superintendant Friedhart Vogel und des Ausländerbeauftragten des Kreises versucht, die in der Asylunterkunft befindlichen Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. Als währenddessen aus einem vorbeifahrenden Auto Feuerwerkskörper in Richtung des Wohnheims abgeschossen werden, sperren einige BewohnerInnen die Straße mit Müllcontainern ab, um sich vor weiteren Angriffen zu schützen. Etliche Schaulustige beobachten das Geschehen, verhalten sich jedoch zunächst ruhig.

In den nächsten Stunden wächst die Menschenmenge vor dem Wohnheim auf etwa 150 Personen, die Stimmung ist zunehmend aggressiv. Schließlich eskaliert die Lage gegen 19.00 Uhr, als vermummte Rechtsradikale die Konfrontation mit der Polizei suchen. Um sich gegen die nachfolgenden Angriffe zu verteidigen, steigen Bewohner auf das Dach der Unterkunft und werfen ihrerseits Gegenstände in die Menschenmenge. Die Polizei reagiert durch den Einsatz von Spezialkräften auf dem Dach. Die Situation kann letztlich gewaltlos beruhigt werden, da sich die Bewohner in das Gebäude zurückziehen.

Als erster Politiker seit dem Beginn der Angriffe versucht der stellvertretende Bürgermeister Klaus Naumann zu der Menschenmenge zu sprechen und beschwichtigend einzuwirken. Er wird mit Flaschen beworfen und muss von der Polizei geschützt werden. Die Auseinandersetzungen vor der Unterkunft flauen in der Folge ab, spitzen sich jedoch gegen 23.00 Uhr noch einmal zu, als es einer Gruppe von 40 Personen erneut gelingt das Heim direkt anzugreifen und Scheiben einzuwerfen.

Nach 1.00 Uhr löst sich die Menschenmenge schließlich auf. Im Tagesverlauf setzt die Polizei 16 Personen fest.

Gegen 2.00 Uhr wird die Polizei informiert, das in der Albert-Schweitzer-Straße erneut Scheiben eingeworfen werden sollen. Auch im Stadtzentrum werden in der Nacht verschiedene Neonazigruppen gesichtet. Um 3.20 Uhr beobachten Einsatzkräfte sechs Personen in unmittelbarer Nähe der Unterkunft auf der Thomas-Müntzer-Straße, die Benzinkanister bei sich führen, jedoch nach ihrer Entdeckung in Fahrzeugen flüchten.

Sonntag 22. September 1991

Mitglieder der Fraktion „Bündnis 90/Grüne“, „SOS Rassismus“, die „Liga für Menschenrechte“ und andere zivilgesellschaftliche und antirassistische Gruppen aus Berlin rufen zu einem Autokonvoi nach Hoyerswerda auf. An der gemeinsamen Anreise beteiligen sich rund 350 Personen. Nach Bekanntwerden der Aktion werden die bereits in Hoyerswerda stationierten drei Einsatzhundertschaften der Polizei in Bereitschaft versetzt, da zunächst von einer Anreise rechtsradikaler Kräfte ausgegangen wird. Um die Polizei zu entlasten sind zudem u.a. zusätzliche Beamte des Bundesgrenzschutzes angefordert worden. Als der Konvoi schließlich die Thomas-Müntzer-Straße erreicht, sperrt die Polizei die Zufahrt zur Unterkunft für Geflüchtete und verhindert somit den Zugang der TeilnehmerInnen. Eine für 16.00 Uhr angemeldete und genehmigte Kundgebung vor dem Heim kann nicht stattfinden. Nach Verhandlungen wird lediglich einer Delegation der Demonstrierenden der Zutritt zum Gebäude gestattet, die Gespräche mit den BewohnerInnen aufnimmt. Jene äußern den Wunsch, die Stadt aus Sorge um ihre Sicherheit so schnell wie möglich verlassen zu können.

Daneben kommt es im gesamten Stadtgebiet mehrfach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Linken und Neonazis. Die Lage ist unübersichtlich und angespannt. Als sich gegen 21.00 Uhr vermehrt Personen vor dem Wohnheim der Asylsuchenden gesammelt haben, die offensichtlich weitere Krawalle provozieren wollen, schreitet die Polizei mit Wasserwerfern ein und beginnt mit der Räumung der Thomas-Müntzer-Straße. Im Tagesverlauf werden 32 Personen festgesetzt, es gibt sechs Verletzte.

Montag, 23. September 1991

Hoyerswerdaer Tageblattes am 24.09.1991

Die Ausschreitungen werden zum Thema in der Debatte des Bundestages. Die Bundesregierung und das Land Sachsen sowie VertreterInnen aller Parteien verurteilen die Geschehnisse in Hoyerswerda und die Zunahme rassistischer Gewalttaten in ganz Deutschland. Auch im sächsischen Landtag wurden die Ereignisse bereits vorher durch einen Antrag von Bündnis 90/Grüne diskutiert. Verbunden werden die entsprechenden Erklärungen unter anderem mit der Forderung nach einer Verschärfung des Asylrechts von Seiten der CDU/CSU. Kritische Stimmen dazu erfolgen von allen Oppositionsparteien.

In den Nachmittagsstunden beginnt die Räumung des Wohnheims in der Thomas-Müntzer-Straße. Die 230 BewohnerInnen werden mit Bussen aus der Stadt gebracht und auf andere Unterkünfte im Landkreis, in Meißen und im Raum Pirna verteilt. Bis zu 1.000 Menschen verfolgen das Geschehen, viele beklatschen die bevorstehende Abreise der Asylsuchenden. Während der Räumung wird das Gebäude mit Feuerwerkskörpern beschossen. Als sich am Abend ein Bewohner aus Verzweiflung aus dem vierten Stock der Unterkunft stürzen will, jedoch zurückgehalten werden kann, ertönt Beifall aus der Menge. Zudem werden Gegenstände auf die abfahrenden Busse geworfen, wodurch eine Person verletzt wird.

Hoyerswerdaer Tageblattes am 24.09.1991

Eine geplante Verfolgung der Busse durch Rechtsradikale kann durch Polizeikontrollen verhindert werden. Jedoch müssen 13 Personen, die in ein Kirchenobjekt in Schwarzkollm verlegt werden sollten, noch in der selben Nacht erneut evakuiert werden, nachdem sich eine Menschenmenge vor dem Gebäude versammelt hat. Bei ihrer Ankunft in Rosenthal und Meißen weigern sich etliche Insassen aus Angst vor weiteren Übergriffen die Busse zu verlassen. Sie fordern eine Unterbringung in den alten Bundesländern.

Mittwoch, 25. September 1991

Erst jetzt verlassen die letzten aus Hoyerswerda evakuierten Asylsuchenden ihre Busse. Weitere Personen, die aus der Stadt in andere sächsische Gemeinden verlegt wurden, haben sich inzwischen aus ihren neu zugewiesenen Unterkünften entfernt, um selbstständig den Weg in die alten Bundesländer auf sich zu nehmen. Etwa 40 BewohnerInnen der Heime befinden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin. In einer Pressekonferenz berichten einige von ihren Erfahrungen in Hoyerswerda. Sie erhalten mit Unterstützung antirassistischer Gruppen zunächst Kirchenasyl.

Am Abend wird auf dem Hoyerswerdaer Marktplatz die ARD Sendung „Brennpunkt“ ausgerichtet. Der sächsische Innenminister Rudolf Krause (CDU) und Oskar Lafontaine (SPD) diskutieren in diesem Rahmen über die Ausschreitungen. Etwa 300 Menschen verfolgen das Geschehen vor Ort. Die Stimmung ist angespannt, da etliche Neonazis versuchen, die Veranstaltung für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Es kommt wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den Störern und der Polizei, die insgesamt 16 Personen in Gewahrsam nimmt. Bis zu diesem Zeitpunkt sind im Zusammenhang mit den Ausschreitungen 83 Festnahmen durch die Ordnungskräfte erfolgt. Sieben Personen wurden einem Haftrichter vorgeführt.

Sonntag, 29. September 1991

Dem Aufruf zu einer Demonstration unter dem Motto „Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ in Hoyerswerda folgen über 3.000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet. Zeitgleich versammeln sich in Dresden ebenfalls 2.000 Personen, um ein Zeichen gegen rechte Gewalt zu setzen.

Als der Protestmarsch gegen 14.00 Uhr den genehmigten Startpunkt vor der Asylunterkunft auf der Thomas-Müntzer-Straße erreicht, ist der Zugang durch Einsatzzüge des Bundesgrenzschutzes abgesperrt. Nachdem Verhandlungen zwischen den VeranstalterInnen und der Einsatzleitung keine zeitnahe Klärung der Situation herbeiführen können, beginnt die Lage zu eskalieren. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen den Polizeikräften und Protestierenden, Wasserwerfer werden eingesetzt. Appelle vom Lautsprecherwagen die Lage zu beruhigen, führen zu teilweise gewalttätigen Konflikten zwischen einzelnen Teilnehmenden. Schließlich dreht der gesamte Demonstrationszug um und versucht die Polizeisperre zu umgehen. Als die Einsatzkräfte einschreiten, um das Fortkommen des Marsches zu verhindern, eskaliert die Situation erneut. Die Demonstration wird vom Anmelder für aufgelöst erklärt.

Da die Teilnehmenden jedoch nicht gewillt sind, den Ort zu verlassen, bis die Demonstration durchgesetzt wird, kommt es in der Folge zu weiteren Verhandlungen mit dem Bundesgrenzschutz und dem Einsatzleiter der sächsischen Landespolizei im Beisein der Presse. Letztlich kann die Demonstration wie geplant stattfinden. Während des Marsches schließen sich einige Dutzend junger Menschen aus Hoyerswerda an, die gemeinsam mit drei örtlichen Pfarrern die Spitze des Zuges bilden. Die Stimmung bleibt jedoch nach wie vor angespannt. Vereinzelt kommt es zu Störungen von AnwohnerInnen, die Teilnehmende beschimpfen und Gegenstände werfen. Auch aus der Demonstration heraus werden erkennbare Personen aus dem rechten Spektrum, bzw. solche, die dafür gehalten werden, körperlich angegriffen und zahlreiche Autos beschädigt.

Ihren Abschluss findet die Veranstaltung auf der Dr.-Wilhelm-Külz-Straße in unmittelbarer Nähe des von den Angriffen betroffenen Vertragsarbeiterwohnheims. Die Polizei nimmt im Tagesverlauf neun Personen in Gewahrsam.

 

Quellen:

Alle Asylbewerber evakuiert. Lausitzer Rundschau vom 25.09.1991.

Ausschreitungen durch Skins am Ausländerwohnheim. Sächsische Zeitung vom 19.09.1991.

Auszüge aus Polizei- und Lageberichten vom 17.09. - 25.09.1991. Verfügbar unter: http://www.hoyerswerda.de/documente/Ausstellung_Herbst1991_Erdgeschoss.pdf (zuletzt aufgerufen am 12.08.2016).

Bundestag verurteilt Gewalt gegen Ausländer. Sächsische Zeitung vom 26.09.1991.

Chronik „Denkmal Herbst 91 - Was damals geschah“. Verfügbar unter: http://scan-hy.de/denkmal/damals.html (zuletzt aufgerufen am 12.08.2016).

Chronik der Ausschreitungen. Lausitzer Rundschau vom 16.09.2011.

Die Ausschreitungen im September 1991. In: Wowtscherk, Christoph (2014): Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S.162-183.

Ein Tag in Hoyerswerda. Sächsische Zeitung vom 21./22.09.1991.

Erste Feuerbälle am Ausländerwohnheim. Lausitzer Rundschau vom 21.09.1991.

Gewalt eskaliert, wo Politik und Toleranz versagen. Lausitzer Rundschau vom 23.09.1991.

Hoyerswerda atmet auf. Rundschau für Nordsachen vom 26.09.1991.

Oskar Lafontaine in Hoyerswerda. Lausitzer Rundschau vom 27.09.1991.

Papier der Demo-Vorbereitungsgruppe zur Demo gegen Rassismus in Hoyerswerda am 29.09.1991.

Polizei mit Molotow- Cocktails und Stahlkugeln beworfen. Lausitzer Rundschau vom 23.09.1991.

Pollack, Detlef. (2005). Die ausländerfeindlichen Ausschreitungen im September 1991 in Hoyerswerda. Berliner Debatte Initial (16), S. 15-32.

Presseerklärung Konvoi nach Hoyerswerda vom 22.09.1991.

Weitere Randale vor Ausländerwohnheim. Lausitzer Rundschau vom 20.09.1991.

„Wir haben Angst, sind weder für die einen noch die anderen“. Sächsische Zeitung vom 23.09.1991.

Hintergrund

„Sie haben uns geschlagen. Wir gehen nach Hause, okay. Aber warte ab, ob es denen dann besser geht“

Ein Gastbeitrag von Eva Engelhardt und Ahmed Farah, zuerst erschienen im Buch „Schwarz-Weiße Zeiten. AusländerInnen in Ostdeutschland vor und nach der Wende.“ im Jahr 1993:

Interview in dem Arbeiterwohnheim in Hoyerswerda, das am 17. und 18.9.91 von Skinheads und Jugendlichen unter Beifall der Nachbarn angegriffen wurde. Teilnehmende dieses Gesprächs waren Ahmed (A), der seit August 91 im Koordinationskreis Mosambik arbeitet; Armando, Mosambikaner, der 9 Jahre in einem ostdeutschen Großbetrieb als Fleischer arbeitete und seit Oktober Ahmeds Mitarbeiter beim KKM ist; David Zacharias (DZ), der vor 12 Jahren aus der Provinz Nyassa nach Hoyerswerda kam und seitdem dort im Tagebergbau arbeitet; David Macau (DM), der ebenfalls vor 12 Jahren aus Maputo in die DDR kam und im Bergbau arbeitete; Eva(E), Soziologin aus Berlin mit langjähriger Afrikaerfahrung

A: Erzählt doch noch einmal die ganze Geschichte, wie es zu den Angriffen auf euch am 17.9. gekommen ist

DZ: Es fing damit an, daß vietnamesische Kollegen, die auf dem Markt Zigaretten verkauften, von den Skinheads angemacht wurden. Die Skins ließen ihren Hund los, damit er die Vietnamesen beißen sollte. Da haben die Vietnamesen den Hund mit einem Messer gestochen und die Skins wurden richtig böse. 9 Skinheads griffen 3 Vietnamesen an. Sie verfolgten sie bis zu diesem Wohnheim. Als sie ankamen, war schon Polizei da, 9 Männer. Die Vietnamesen flüchteten ins Haus und die Skins standen davor. Wir alle, Mosambikaner und Vietnamesen sind ins Haus gegangen und nach oben geflüchtet. Dann haben wir eine Stunde hier verbracht. Die Skins haben getanzt, Schnapsflaschen aufgemacht und getrunken und geschrien „Ausländer raus!“, “Deutschland ist für die Deutschen” und so. Die Polizisten haben nur zugeschaut und später kamen immer mehr Zuschauer, bis alles hier voll war. Nach 1 1/2 Stunden haben sie angefangen, Steine gegen unsere Scheiben zu werfen. Wenn sie getroffen haben und die Scherben herunterfielen, haben die Zuschauer in die Hände geklatscht. Das hieß für uns „Jawoll, habt ihr richtig gemacht!“ Und die Polizisten, die 12 Mann, die hier waren, haben sich nicht getraut, die 9 Skinheads festzunehmen. Sie haben nur zugekuckt und als sie nach dem Kommando verlangt haben, hat es nochmal 2 Stunden gedauert, bis die gekommen sind. Als sie ankamen, haben sie schon gesehen, daß alles kaputt war und immer mehr Leute kamen. Es dauerte bis 22 Uhr, bis das Kommando kam und die Krawalle aufhörten.

Am nächsten Tag fing das gleiche um 15 Uhr an. Schüler waren dabei, nicht nur Skinheads. Kinder kamen in Begleitung ihrer Eltern. Die Eltern haben ihren Kinder die Steine gegeben und die Kinder haben die Steine in die Fensterscheiben geworfen. Und wenn die Scheiben herunterfielen, haben sie in die Hände geklatscht, die Eltern auch. Es gab nur ganz wenige Eltern, vielleicht 4 Familien, die ihre Kinder aus diesem Krawall herausgeholt und geschimpft haben. Aber ein Großteil war einverstanden mit dem Krawall.

Während wir die ganze Sache von oben betrachtet haben, haben wir uns gedacht, daß diese Krawalle nicht wegen der Ausländerfeindlichkeit angefangen haben, sondern wegen unserer schwarzen Haut. Zwar begann das Problem mit den Vietnamesen, aber es hieß dann, die Mosambikaner hätten die Skins provoziert. 4 Tage später kamen dieselben Skinheads zum Asylantenheim und haben dort weitergemacht. Als wir die Journalisten fragten, wer hat denn dort die Skinheads provoziert, wußten sie keine Antwort. Das ganze Problem und die Erfahrungen, die wir gesammelt haben, sind nicht von gestern auf heute entstanden. Das ist nicht nur Ausländerfeindlichkeit, das ist Rassismus, der sich zeigt.

Die Leute haben uns aufgesucht, weil wir eine andere Hautfarbe haben und außerdem denken die, wir kommen aus den armen Ländern und wir genießen das Leben so wie die sog. „reichen Leute“. Das paßte den Leuten aus Hoyerswerda nicht.

Manche wußten ja gar nicht wie die Krawalle angefangen hatten, aber sie waren klar gegen uns.

Wir wohnen seit 1979 in Hoyerswerda, und niemals hat die Regierung die Leute aufgeklärt, warum wir hierhergekommen sind. Sie hat gesagt, die Leute sind hergekommen wegen der Solidarität oder irgendetwas. Die Leute haben sich dann gedacht, wir leben von ihrer Solidarität und nicht von unserer Kraft, obwohl wir im Betrieb arbeiteten. Sie dachten wir leben davon, daß sie arbeiten und Abgaben für die Solidarität machen.

Als wir Freundschaften schlossen mit einigen ausländischen Kollegen, die die Möglichkeit hatten, nach Westdeutschland zu reisen, um ein paar Sachen einzukaufen, dann hieß es für die Bevölkerung hier, wir hätten Devisen, obwohl das nicht stimmte. Auch wenn wir es ihnen mit unseren Abrechnungsscheinen beweisen wollten, war es dem Volk hier nicht zu erklären.

Für uns ist klar, daß das Problem nicht erst heute angefangen hat, sondern schon ewig besteht. Wenn die Polizei von Anfang an reagiert hätte, wie es sein sollte, dann hätten sich die Probleme nicht so entwickelt. Von Anfang an hat die Polizei die Leute veranlaßt zu sagen: „Wenn wir die Macht haben, haben wir recht und die anderen haben kein Recht.“ Dadurch haben die die Kraft gekriegt. Und heute, wenn die frei sind, denken die: „Jetzt sind wir frei und können machen, was wir wollen“. Was war die Reaktion der Polizei? Sie haben zugekuckt. Als die mit Autos kamen und ganz nahe ans Wohnheim rollten, haben sich die Polizisten nicht gerührt. Wenn die den Kofferraum aufgekriegt hätten und mit Benzin ein Feuer gemacht hätten, hätte es kein Wohnheim mehr gegeben. Die Polizei hat zugekuckt. Und als das Kommando kam, haben sie gesehen, daß die Leute Steine herschmeißen; zugekuckt haben sie. Sie haben die Skinheads freigelassen und das war für uns eindeutig, daß die Leute mit solchen Sachen einverstanden sind.

Am 2. Tag, dem Mittwoch, hat die Polizei 2 Stunden gebraucht bis sie kam. Wir mußten alleine kämpfen.

Diese Jungendlichen haben mir gesagt, daß sie mich umbringen wollen, wenn ich allein bin. Sie wollen, daß jemand stirbt. Sie wollen die ganze Wohnung verbrennen. Wir haben keine Zeit mehr zu diskutieren. Wir müssen weg! Der Betrieb kann nicht mehr unsere Sicherheit garantieren. Auch die wollen uns so schnell wie möglich loswerden. Der Betrieb hatte noch einen anderen Plan. Die wollten uns in einen Bus stecken und in den Wald fahren. Wir haben das nicht gewollt. „Wir sind keine Gefangenen“ haben wir gesagt. „Wir wollen uns frei bewegen. Wir haben doch keinen angegriffen“.

E: Was sind die Motive der Skinheads, euch zu schlagen?

D.Z.: Die Skinheads haben keine Aussage. Die trinken und fühlen sich lustig und wollen alle attackieren. Die wollen ihren Spaß haben. Die greifen alle an.

Unsere Probleme sind nicht nur die Skinheads, sondern die tragen sie nur nach außen. Viele sind gekauft, weil sie sowieso ausgesondert sind von der Gesellschaft. Sie wurden auf uns gelenkt, damit sie nicht jeden auf der Straße attackieren. Denk an die Krawalle, 9 Skinheads wären gar kein Problem gewesen, aber all die Leute, die sie unterstützt haben.

Die Jugendlichen hören, was zu Hause geredet wird und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Die haben auch nirgendwo was zu sagen. Wenn die Kinder sich auf unsere Seite stellen, werden sie geschlagen. Die Kinder kriegen von ihren Eltern keine richtige Erziehung, wie man mit Ausländern umgehen soll.

A: Gab es in der Vergangenheit noch andere Beispiele für Rassismus?

DZ: Immer wieder gab es Probleme. Zum Beispiel gab es Zeiten, da haben wir 12 Stunden im Tagebau gearbeitet von früh bis spät. Wenn wir dann aus dem Betrieb rauskamen, hatten wir keine Lust mehr zu kochen. Die Geschäfte waren ja auch zu. Wir wollten in die Gaststätte gehen, um was zu bestellen, was essen, danach schlafen, um am nächsten Tag wieder arbeiten zu gehen.

Wir sind dorthin gegangen und haben uns angestellt, um einen Platz zu bekommen, wie es damals üblich war. Wir haben uns angestellt wie die anderen und auf den Aufruf vom Kellner gewartet, daß Plätze frei werden. Dann kam der Kellner, sah uns, „das sind 3“, aber dann ging er und verlangte 4 Plätze und gab die dann 4 Leuten, die hinter uns standen. Er verlangte extra 4 Plätze, damit er sie uns nicht geben mußte und man ihm nicht sagen konnte, er mache Rassentrennung u.s.w.. So haben wir über eine Stunde gewartet. Leute, die hinter uns standen, hatten schon Plätze, bis wir begriffen. Aber was können wir machen?

DM: 1982 wollte ich nach Karl-Marx-Stadt mit dem Zug fahren. Ich kam von Leipzig und mußte in Riesa umsteigen. Ich bin ins Mitropa rein, weil es kalt war. Als ich die Tür aufmachte, kam der Kellner und hat mich rausgeschmissen. Weil ich nicht aus Riesa war, wußte ich nicht, was dort los war. Erst kuckte ich hinter mich, weil ich dachte, der meint einen anderen. Aber dann hat er mich angegriffen: „Raus! Raus! Du darfst hier nicht sein!“ Dann fragte ich warum, aber er hat es mir nicht erklärt. Die anderen in der Gaststätte haben dazu nichts gesagt.

DZ: Manchmal passierte es, daß wir mit einer deutschen Familie am Tisch saßen. Dann wurde alles für die deutsche Familie serviert, alles, was die bestellt hatten. Und wir haben bloß zugekuckt. Die Kellnerin hat uns nicht gesehen. Wir haben uns selbst die Speisekarte geholt, was ausgesucht, was wir wollten und gewartet. Aber sie ist nicht gekommen. Dann versuchten wir ihr Bescheid zu sagen, was wir wollten. Entweder hat sie etwas Unfreundliches gesagt oder sie hat gar nicht reagiert, auch wenn wir 2-3 Stunden gesessen und gewartet haben.

E: Habt ihr euch in solchen Situationen gewehrt?

DZ: Am Anfang haben wir es versucht, aber dann als wir sahen, daß unsere Gruppe immer kleiner wurde, haben wir es sein gelassen. D.h. wer immer eine „große Schnauze“ hatte, wie es so heißt, der mußte aus unserer Gruppe entfernt werden. Es hieß dann, der ist undiszipliniert, der macht viele Probleme. In jede Gaststätte, in die er geht, bringt er Probleme rein. Man wollte aber nicht wissen, ob das, was er sagte, stimmte oder nicht. Der hatte immer provoziert.

Ich hatte großen Hunger, ich wollte was essen. Keiner kuckte mich an. Ich saß am Tisch, sie kam nicht, sie machte nichts. Da mußte ich allein nach vorne gehen und Bier kaufen oder Limo. Vielleicht habe ich es gekriegt oder man sagte: „Setz dich wieder auf deinen Platz.“ Wieder hingesetzt. Drei Stunden vorbei, so, man konnte verrückt werden. Aber man hat überlegt: „Mein Gott, wenn ich hier jetzt was mache, dann muß ich morgen oder übermorgen nach Hause fliegen. Ach, ich gehe lieber in eine andere Gaststätte.“ In der anderen Gaststätte passierte dasselbe. So, wo konnten wir Hilfe herholen? Überall, ob bei der SED oder FDJ oder FDGB haben die uns nicht geglaubt. Bis wir ganz richtig und eindeutig gesagt haben: “Hier gibt es Apartheid”. Da haben die von der SED ganz dumm gekuckt und geschimpft. Die wollten sogar unsere Namen aufschreiben und uns melden, weil wir gesagt haben, daß es Apartheid gibt. Wir haben es laufend gesagt, z.B. bei monatlichen Treffen, die wir organisiert hatten mit Vertretern der SED, des Betriebes und der Kommune, allen Plätzen, wo wir Ärger hatten. Wir haben dort erzählt, was in den Gaststätten passierte und daß es Apartheid gibt. Aber geändert hat das an der Situation nichts. Man hat uns gefragt: „Na, hast du dich verlaufen? Was hast du hier zu suchen?“ Man hat schon gemerkt, was das für Leute waren. Aber wir konnten uns nicht wehren, weil das 4 Leute gegen einen waren. Man konnte uns umbringen.

Der Mai 90 oder September 91 waren für uns nichts Neues.

Seit 1981 gab es Gruppen von Jugendlichen, 4 oder 5 Mann, die sind in die Gaststätten gegangen und haben auf uns gewartet. Entweder sie haben uns auf der Toilette geschlagen oder draußen. Wir sind bis zur Polizei gerannt und haben gemeldet, daß wir geschlagen worden sind. Die Polizei hat richtig das Blut und alles gesehen. „Ach, du bist besoffen. Geh schlafen, das machen wir morgen, wir kennen diese Leute“ hieß das damals. Oder man gab uns alte Fotos „Wer war es?“. Und mit Blut und all dem mußten wir schnell suchen. „Ach so der, den kennen wir.“

Wenn die betrunken waren, haben manche ihre vollen Biergläser auf unseren Kopf geschüttet. Das war noch in der Honecker-Zeit. Wenn jemand so naß ist, dann schämt er sich und reagiert. Aber wenn wir reagierten, dann hieß es nicht, wir seien angegriffen worden, sondern wir hätten die provoziert.

Wenn uns die deutschen Jugendlichen geschlagen haben und die Polizei kam und erkannte uns als Mosambikaner, dann hat die das Blaulicht angemacht, so daß die Jugendlichen Zeit hatten, wegzulaufen. Sie sagten, wir hätten diese Leute zusammengeschlagen. Wir wurden festgenommen und die wurden freigelassen.

Auch wenn wir im Betrieb oder bei unserem mosambikanischen Repräsentanten um Hilfe baten, passierte nichts. Immer hieß es: „Ach, die Mosambikaner waren betrunken“. Es gab keine Probleme, wo es nicht hieß, wir wären betrunken. 3 Kollegen von uns sind ohne Zähne nach Hause geflogen. Wir haben die Sache zur Polizei weitergeleitet, aber die sagten, es gäbe keine Beweise.

Probleme wurden nicht nach Tatsachen, sondern nach Farbe gelöst. Aber in dieser Zeit war es verboten, über das Problem mit der Farbe zu sprechen. Die haben uns gesagt, das Problem mit der Farbe oder dem Rassismus gibt es nicht mehr. Die ehemalige SED hat verboten, darüber zu sprechen.

Ob wir in der Gaststätte waren oder in der Disco, wenn wir reinkamen sagten sie: „Oh, Licht aus, ich sehe meinen Teller nicht mehr.“ Die haben gedacht, jetzt kommen die Schwarzen, jetzt wird alles dunkel hier. Wir haben es zwar verstanden, aber meistens nicht reagiert.

DM: Manchmal haben wir auch mitgemacht. Haben uns organisiert und sind in eine Gaststätte gegangen, haben was gegessen und gewartet, daß die Jugendlichen kommen. Haben vor der Gaststätte richtig was gemacht. Sind schnell nach Hause gelaufen und haben uns andere Sachen angezogen. Was passierte dann? Es sind laufend Polizisten ins Wohnheim gekommen mit Papieren. Alles wurde aufgeschrieben, die ganze Gruppe fotografiert und alles untersucht. Als Resultat sind vier von uns ins Gefängnis gegangen. Für nichts. Von unserer Gruppe sind auch einige ins Gefängnis gegangen für nichts.

DZ: Von 81 bis jetzt hatten wir Angst, denn wir wollten schon etwas mitnehmen. Wir wollten nicht, daß unsere Familie in Mosambik hört: „Och, mein Gott, dein Sohn ist im Gefängnis“. Die denken, ich habe jemanden umgebracht. Wenn ich dorthin komme, kann ich nicht zu meiner Familie gehen, sondern muß in eine andere Provinz gehen, wo ich meiner Familie fern bin. Die werden mir niemals glauben.

„Was hast du dort angerichtet, daß du im Gefängnis warst?“ Ich werde versuchen zu sagen, das war Rassismus in einer Gaststätte und ich habe mich gewehrt. Wer kann das glauben, wo doch Sozialismus herrscht? Man hat ganz groß über Sozialismus gesprochen zu Hause. Bei diesem Wort Sozialismus hat man geglaubt, es ist alles roger, ist alles in Ordnung, es gibt keine Probleme. Also, auch zu Hause hat uns keiner geglaubt. Nee, sowas gibt es nicht.

Heute ist für uns fast alles zu spät. Uns hat keiner unsere Rechte und die richtige Linie gezeigt. Wir waren ganz klein, fast nie zu sehen. Jetzt ist es zu spät.

E: Wie war die Situation im Betrieb? Gab es da Kollegen, die zu euch hielten?

DM: Es gab einige, die mit uns waren und die gesehen haben, was mit uns passierte. Wir hatten Freunde unter den deutschen Kollegen, die ihre Kraft für uns gegeben haben. Aber gegen die Polizei offen zu sprechen, haben sie sich nicht getraut. Damals hatte man Angst, einzugreifen. In der Zeit, in der was passierte, wurde etwas geredet, aber nach und nach war es dann egal. Wir haben auch die SED oder den FDGB angesprochen, aber die sagten nur: „Ach, das sind Leute, die im Gefängnis waren“. Wenn wir unter uns waren, dann haben sie versucht, den großen Boss zu spielen: „Mit diesen Leuten muß man das und das machen!“ und so. Aber dann in der großen Versammlung konnte man richtig merken, daß sie nichts sagen wollten. Das war eine harte Zeit für uns.

DZ: Unsere Ausbildung als Stahlbauschlosser war gut, auch wenn wir unbeliebte Arbeitsplätze und Schichten zugewiesen bekamen. Wir haben uns auch durch unsere Meinung und unsere Kritik gewehrt.

Zum Beispiel, wenn ich eine Woche lang eine Dreckarbeit machen mußte, dann habe ich die zwei oder drei Tage gemacht und gekuckt. Und wenn kein Deutscher die mitmachte, dann habe ich zum Meister gesagt, ich mache das nicht mehr. Der mußte dann überall anrufen: „Der Schwarze will nicht mehr arbeiten“. Damals gab es viele Papiere für die Disziplin und so. Dann mußte es eine Aussprache geben und man hat Fingerchen gezeigt und ich habe gesagt, was ich wollte.

DM: Manchmal gab es eine Schlägerei im Betrieb zwischen dem Meister und mir. Manche von uns sind geschlagen worden, wenn sie sich weigerten, bestimmte Arbeiten zu machen. Der Meister hat um sich geguckt und zack! Dann gab es eine Aussprache oder manche haben zurückgehauen. Nicht direkt im Betrieb, sondern nach der Arbeit im Bus. Da war der kein Meister mehr und der andere hat ihn geschlagen. Dann wurde im Betrieb diskutiert. Der Mosambikaner sollte nach Hause geschickt werden, aber wir haben verlangt, daß der Betrieb den richtigen Grund schreibt, wie es dazu gekommen ist. Der Betrieb konnte das nicht schreiben, weil der Zusammenhang mit Rassismus nicht aufgeschrieben werden durfte. Der Meister hat gesagt: „Du kommst aus dem Busch, du kennst das nicht.“ Wir haben gesagt, das muß alles in den Bericht rein und unser Gruppenleiter sagte, er unterschreibt den Bericht sonst nicht. Da wurde der Junge in eine andere Abteilung versetzt, weg von seinem Meister. Da klappte es gut. Da hatte er keine Probleme mehr.

DZ: Aber mit den Abrechnungen hatten wir immer Probleme. Jedesmal wenn es um Geld ging, mußten wir diskutieren. Jedesmal hatte der Computer Probleme mit unserer Farbe. Immer hat der Computer uns vergessen oder sich verrechnet. An wen sollten wir uns wenden? Im Betrieb waren sich alle einig, der Direktor, der Personaldirektor oder der Betriebsrat. Wenn wir unsere Forderungen stellten, sagten sie, wir schädigen den Betrieb. Keiner hat für uns gesprochen.

E: Gab es eigentlich auch Frauen, die aus Mosambik herkamen?

DZ: Ja, vor allem von 79-83. 83 hatten wir eine, 85 waren es fünf. Sie lernten Elektriker und Maschinisten.

A: Gab es Fälle, in denen die Frauen schwanger wurden?

DZ: Ja, die wurden gleich nach Hause geschickt. Die anderen wurden durchgezogen bis 83, dann mußten die nach Hause fliegen. Am Anfang war es verboten, daß die Mädchen die Pille kriegen. Unsere Regierung hat das im Abkommen gewollt. Für die Frauen gab es keine Verhütungsmittel. Alle Frauen sind nach Hause zurückgeführt worden und so haben sie alle intelligenten Frauen verloren. Sie mußten zurück um nichts. Uns wurde vorgeworfen, daß wir unsere Frauen nur als Instrumente benutzen.

E: Es gab doch die freie Abtreibung in der DDR.

DZ: Das war ein Geheimnis, wir sollten davon nichts wissen. Einige haben es ganz geheim gemacht, aber es durfte niemand wissen, weil sie sonst sofort wegfliegen mußten. Man hat es schon gemacht, aber die Betreuer durften nichts davon wissen.

A: Ihr arbeitet jetzt schon 12 Jahre im Kohlebergbau hier. Welches Bild hattet ihr von der DDR bevor ihr herkamt?

DM: Damals gab es schon 30 Jahre Sozialismus. Als man mir Filme gezeigt hat von großen Betrieben in Magdeburg von sozialistischen Brigaden, dachte ich, na ja, alle Deutschen sind sympathisch. Alle haben Erfahrungen mit allen Menschen zu leben. Wenn dort schon 30 Jahre Sozialismus ist, dann werde ich alles bekommen, was mein Wunsch ist. Mein Wunsch war, einen Beruf theoretisch und praktisch zu erlernen. Das hat der Betrieb gemacht, das kann ich mit Sicherheit sagen. Wir sind gut ausgebildet worden. Von 1979 bis 86 hatten wir Schule, da haben wir gut gelernt.

DZ: Am Anfang waren wir wenige, nur fünf Gruppen. Erst 80 wurden wir mehr. Am Anfang haben die uns vieles gezeigt, Museen und so; viel über die deutsche Geschichte. Wir haben gemeinsame Wochenenden mit deutschen Studenten verbracht wegen Freundschaft uns so. Wir haben uns am Wochenende getroffen in Weimar oder Berlin. Aber am Anfang konnten wir die Sprache noch nicht und es hat nicht so gut geklappt. Als wir die Sprache dann konnten, wurde nichts mehr organisiert. 1983/84 war das zu Ende. Es hieß dann: “Du kannst die Sprache. Im Urlaub kannst du zum FDGB gehen und der zeigt dir, wo du hinfahren kannst.“ Aber das war schwierig, weil wir keine Familie haben. Weil die Familien als erste Plätze bekamen, konnten wir uns nichts mehr auswählen. Zu dieser Zeit waren 16 000 Mosambikaner in der DDR, und da habe ich Freunde besucht. Blieb immer 2-3 Tage und fuhr dann zum nächsten. Nachdem der FDGB unsere Wünsche nicht erfüllte, wollten wir keinen Beitrag mehr bezahlen. Da gab es viele Diskussionen, weil viele von uns ausgetreten sind. Das brachte neue Probleme mit der SED und dem FDJ, weil die alle zusammenhingen. Man hat uns dann nicht mehr zu Feierlichkeiten eingeladen, aber das war uns egal.

A: Wenn ihr die Zeit vergleicht vor der Wende und nach der Wende, hat sich da was in eurem Leben verändert?

DZ: ln der Honnecker-Zeit hatten wir bei solchen Problemen, wie wir sie angeschnitten haben, keine Rechte. Es gab keine Stelle, wo wir sowas diskutieren konnten. Wenn ich heute Fehler im Betrieb sehe, kann ich darüber diskutieren und kann mich beschweren, was es damals nicht gab.

Wenn die Leute die Freiheit richtig begriffen hätten, dann könnten wir sagen, heutzutage wäre der richtige Moment für Menschlichkeit. Aber die Leute wissen überhaupt nicht, wo vorne und hinten ist. Einige, die uns heiß machen, haben ihre eigenen sozialen Probleme nicht gelöst. Wenn man mit Problemen anfängt und es wird besser, dann vergißt man die Probleme später. Aber bei uns fing es mit Kleinigkeiten an, dann kam die Freiheit, dann die Anschläge. Das ist ein Schock, den ich nicht vergessen kann. Wenn ich nach Hause komme, kann ich über einige gute Leute erzählen, aber dieser Schlag bleibt in meinem Herzen und schmerzt, und niemand von uns wird es vergessen.

Ich verstehe, daß die Probleme haben, z.B. wenn in einer Familie Mutter und Vater arbeitslos werden, und die nicht mehr wisse, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Aber die müssen ihre Probleme anders lösen. Sie haben uns geschlagen, wir gehen nach Hause, o.k. Aber warte ab, ob es denen dann besser geht.

Das ist eine Tradition in Deutschland. Wenn es Probleme gibt, dann versucht man die durch die Ausländer zu lösen. Das ist nicht nur heute so, das war schon gestern so.

E: Mit wem hattet ihr Kontakt in all den Jahren?

DM: Mit den anderen Ausländem hier im Wohnheim kamen wir gut klar. Die Polen waren unsere Freunde, wir nannten uns gegenseitig „Schwager“. „Ach, da kommt mein Schwager“ sagte man, wenn man sich in der Stadt traf. Mit den Vietnamesen gab es erst Meinungsverschiedenheiten, aber die haben wir in einigen Treffen besprochen und dann ging es besser.

Im Betrieb hatten wir guten Kontakt mit den Kollegen. Wenn du zusammen arbeitest, sieht man die Farbe nicht mehr. Aber wenn wir die Kollegen in der Stadt trafen, haben die uns nicht mehr gegrüßt, sondern weggeguckt. Manche hatten Mut und sprachen mit uns und nannten uns mit unseren Spitznamen.

Einige deutsche Familien hatten Kontakt mit uns. Für manche Familien sind die Krawalle peinlich. Sie schämen sich und entschuldigen sich bei uns.

In der Stadt hatten wir keine Kontakte. Wenn wir in die Disco reinkamen, haben wir kaum getanzt. Die Mädchen wollten nicht mit uns tanzen. Sie sagten nein oder tanzten einen Tanz mit uns.

Wir haben dann selber einen kleinen Club hier im Wohnheim gegründet, wo wir uns Freitag abends und Sonntag nachmittags trafen, Musik hörten, miteinander sprachen. Aber der war ganz klein, für 20-30 Leute vielleicht, obwohl manchmal auch 50-60 da waren. Da durfte jeder rein, egal wie er aussah. Natürlich haben sich die deutschen Nachbarn hier im Block beschwert. Das war Tradition in allen Wohnheimen. Du hast nur draußen gestanden und dich unterhalten, das war schon zu laut.

Nach der Wende haben wir viel lautere Musik gemacht als vorher. Vorher hatten wir kleine Radios, aber nach der Wende kauften wir uns alle Anlagen von 1000 Watt. Da haben sich Nachbarn wegen der lauten Musik beschwert.

Die Bevölkerung wollte uns loswerden, damals und heute. Es gab schon vor der Wende Versammlungen, wo es hieß, die Mosambikaner müssen weg, die nehmen uns die Frauen weg oder die kaufen unsere Läden leer.

Den Vorwurf, daß wir Wohnungen und Arbeitsplätze wegnehmen, hören wir erst jetzt, nach der Wende. Dabei sind doch viele Gastarbeiter schon weg und die Wohnheime sind leer. Geht es den Deutschen dafür besser?

E: Habt ihr schon Pläne, was ihr machen wollt, wenn ihr nach Mosambik zurückkehrt?

DM: Ja, aber das wird nicht klappen, denn das Geld wird nicht reichen. Ich wollte eine kleine Werkstatt aufmachen für Autoreparaturen, Lackieren u.s.w. Mein Bruder ist Automechaniker und wir haben immer zusammengearbeitet. Das war Glück, daß ich Schlosser lernen konnte. Ein paar Maschinen wie Schweißmaschinen habe ich schon gekauft und im Mai rübergeschickt. Sind auch angekommen.

A: War das dein Traum als du nach Deutschland gingst, eine Ausbildung und Geld zu bekommen, um damit zu Hause eine Werkstatt aufzumachen?

DM: Während des Sozialismus hatte ich die Idee von einer kleiner Werkstatt nicht, weil es da nicht möglich war. Damals wollte ich was anderes. Ich wollte eine Wohnung, die ich mit einem Kühlschrank und so einrichten wollte. Aber dann habe ich in der DDR die Preise gesehen und da mußte ich meine Ideen streichen. Ein Kühlschrank kostete 2000 Mark, ein Farbfernseher 6000 Mark.

Vier Jahre Arbeit waren nicht genug, um einen Kühlschrank zu kaufen, da habe ich meine Verträge immer um 2 Jahre verlängert.

Zwischendurch war ich zweimal auf Urlaub, 83 und 89. Das war schön, ich sah meine Familie und sie erzählten, was passierte.Ich hatte mein Transfergeid und konnte was zu essen und was für meine Familie kaufen. Jetzt wird es viel schwieriger, denn jetzt muß ich etwas unternehmen. Was mache ich nach 3 oder 4 Monaten, wenn das Transfergeld alle ist? Werde ich anders heißen? Bin ich nach 12 Jahren in einem anderen Land ein Fremder in meiner Heimat? Alle meine alten Freunde haben jetzt Familie. Muß ich mir neue Freunde suchen?

DZ: Ich habe Pläne in zwei Richtungen: ich habe eine Maismühle gekauft, um damit Getreide von meiner Familie und den Verwandten zu mahlen. Hoffentlich kommt sie zu Hause an. Ich wohne in der Provinz Nyassa am Lake Malawi. Ich habe auch 6 Nähmaschinen gekauft, um eine kleine Nähstube aufzumachen mit Verwandten. Bei uns herrscht auch große Arbeitslosigkeit. Wenn alles gut läuft, will ich mit meinem Cousin einen Kredit bei der Bank beantragen und einen Bus oder LKW kaufen, um Transporte zu machen. Dann bist du zwar nicht mehr zu Hause, weil du dauernd rumfährst, aber es kommt Geld rein.

A: Gibt es eine Feier, bevor ihr am Sonntag losfliegt?

DM: Nein, es gibt nichts, kein Fest vom Betrieb. Der Betrieb ist unser Vater und wir haben unsere ganze Kraft dagelassen, aber es gibt keine Verabschiedung. Als wir die Möbel aus unseren Räumen einpacken wollten, haben sie gesagt, es geht nicht. Einen Tag nachdem wir unsere Container verschlossen haben, kam ein großer Müllwagen und hat die Möbel abgeholt. Das hat uns sehr geschmerzt.

12 Jahre haben wir dem Betrieb unsere Kraft gegeben und jetzt schmeißen sie die Möbel lieber auf den Müll als sie uns zu geben.

Und eine Verabschiedung gibt es auch nicht, man ist froh, uns loszuwerden.

 

Quellen:

Informationszentrum Afrika e.V. (IZA), Bremen KoordinierungsKreis Mosambik e.V. (KKM), Bielefeld terres des hommes e.V. (tdh), Osnabrück BAOBAB, Infoladen Eine Welt e.V., O-Berlin (Hrsg.) (1993). Schwarz-Weiße Zeiten. AusländerInnen in Ostdeutschland vor und nach der Wende. Erfahrungen der Vertragsarbeiter aus Mosambik. Interviews – Berichte – Analysen. Bremen: IZA.

Hintergrund

Eine Hoyerswerdaerin berichtet

Gudrun Erfurt hat seit 1980 in Hoyerswerda gelebt. Sie beobachtete die Angriffe auf die Flüchtlingsunterkunft in der Thomas-Müntzer-Straße von dem Altenheim aus, in welchem sie damals arbeitete. In einem Gespräch im Jahre 2012 schilderte sie die Ereignisse.

Wie Gudrun Erfurt berichtete, war bereits vor dem Jahr 1990 zu spüren, dass in Ostdeutschland eine aggressive, rechte Jugendkultur entsteht – Politik und Gesellschaft blieben allerdings tatenlos. In dem Gespräch schilderte sie darüber hinaus, welche weiteren Ursachen sie für die Eskalation im September 1991 sah.

Hintergrund

Vorgeschichte: Ankunft der VertragsarbeiterInnen

Das soziale Klima in den Betrieben, in denen die ankommenden VertragsarbeiterInnen ausgebildet und beschäftigt wurden, war von Beginn an von Konflikten geprägt. Auch deren Beziehungen zur einheimischen Bevölkerung verliefen nicht ohne Probleme. Es kam zunehmend zu Spannungen.

Erste Schwierigkeiten nach der Ankunft

Nach Abschluss eines Regierungsabkommens zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen wurde im Jahre 1971 erstmals eine größere Zahl polnischer VertragsarbeiterInnen in das Gaskombinat Schwarze Pumpe entsandt. Auf Grund von enttäuschten Erwartungen seitens der ankommenden Arbeitskräfte, organisatorischen Mängeln und fehlender Erfahrungen bei deren Eingliederung in die Betriebe sowie der restriktiven Bestimmungen, die ihre geschlossene Unterbringung in Hoyerswerda gewährleisten sollten, herrschte von Beginn an ein spürbares Konfliktpotenzial im Umgang miteinander.

Wie Christoph Wowtscherk in seiner sozialgeschichtlichen Studie „Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht?“ darlegt, reagierten die Verantwortlichen auf diese Situation, neben der Ausrichtung von Freizeitangeboten und Aussprachen, vor allem mit internen Disziplinarmaßnahmen und vermehrten Rückführungen von „auffälligen“ Beschäftigten. Besonders kritisch wurde die Kontaktaufnahme von männlichen Vertragsarbeitern mit deutschen Frauen betrachtet, wenngleich das Kombinat, wie Wowtscherk anhand von internen Berichten aufzeigt, in der Folgezeit „sehr wohl an der Integration der polnischen Arbeiter in das deutsche Wohn- und Arbeitsumfeld interessiert“ schien. Bis auf vermehrte Beschwerden wegen Lärmbelästigung aus dem nachbarschaftlichen Umfeld ihrer Unterkunft in der Albert-Schweitzer-Straße kam es jedoch nur in seltenen Fällen zu direkten Konflikten und Auseinandersetzungen mit Einheimischen.

Spannungen zwischen Einheimischen und VertragsarbeiterInnen

Mit der Entsendung von algerischen ArbeitnehmerInnen im Jahre 1974 änderte sich diese Situation. Wie Wowtscherk ausführt, konnten zwar bestehende „Vorurteile der Kombinatsleitung (…) durch den Kontakt mit den algerischen Arbeitern schnell widerlegt“ werden, jedoch „litten die Algerier unter (...) Diskriminierungen ihrer deutschen Kollegen“, die sich etwa in Schikanen, wie der Benachteiligung bei der Essensausgabe, ausdrückten. Auch Fälle von Drohungen, Beleidigungen und körperlichen Angriffen gegenüber den VertragsarbeiterInnen nahmen zu.

In einem geheimen Informationsbericht des Ministeriums für Staatssicherheit „über einige Probleme des Einsatzes algerischer Werktätiger in Betrieben der DDR“ aus dem Jahre 1975 wird auf diese Entwicklungen und die damit einhergehende Unzufriedenheit der algerischen ArbeitnehmerInnen Bezug genommen. Jene hätten sich wiederholt darüber beklagt, dass „in der DDR keine umfassende Informierung der Öffentlichkeit über das Regierungsabkommen und des Einsatzes algerische Werktätiger erfolgt“ sei und sie „als Menschen zweiter Klasse behandelt“ würden. Mit Blick auf die Häufung körperlicher Auseinandersetzungen mit Einheimischen wird festgehalten, „daß DDR-Bürger den algerischen Werktätigen oftmals überheblich und arrogant gegenübertraten und diese (...) provozierten. Das Personal mancher Gaststätten benachteiligte die algerischen Werktätigen im Vergleich zu DDR-Bürgern. Das führte zu Spannungen zwischen den Gästen und oftmals zu tätlichen Auseinandersetzungen.“

„Eine Integration fand nicht statt“

Mit Blick auf die weitere Entsendung von VertragsarbeiterInnen aus verschiedenen Nationen in die Region bis zum Zusammenbruch der DDR resümiert Wowtscherk „dass die ausländischen Arbeiter, insbesondere die Algerier und Mosambikaner“ in der Bevölkerung als „Fremde wahrgenommen und stigmatisiert“ wurden. „Eine Integration fand nicht statt.“

 

Quellen:

BstU, Mfs, 0031, Nr. 740/75, Information über einige Probleme des Einsatzes algerischer Werktätiger in Betrieben der DDR.

Wowtscherk, Christoph (2014): Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 25, 83-117.

Hintergrund

Vorgeschichte: Neonazistische Tendenzen in Hoyerswerda vor 1991

Das rassistische Pogrom vom Herbst 1991 fand nicht im luftleeren Raum statt. Im Verlauf des Zusammenbruchs der DDR wurden rechtsradikale und ausländerfeindliche Einstellungen auch in Hoyerswerda zunehmend hoffähig.

Zunehmende Ausbreitung neonazistischer Tendenzen seit den 1970iger Jahren

Chronik von Dr. Harry Waibel

Wie aus einer Chronik über „neonazistische (…) Einstellungen und Gewalt in Hoyerswerda und Umgebung“ des Historikers Harry Waibel hervorgeht, lassen sich bereits in den 1970er Jahren gewalttätige Auseinandersetzungen mit VertragsarbeiterInnen und anderen Personen, sowie Propagandadelikte in der Region belegen, bei denen Beteiligte ihre Taten mit öffentlichen Bekenntnissen zu einem neonazistischen Weltbild in Verbindung brachten.

Während solche Vorkommnisse von offizieller Seite zunächst nur unter der allgemeinen Kategorie des „Rowdytums“ Erwähnung fanden, zeigen Christoph Wowtscherks Recherchen, dass mit der Häufung weiterer rechtsradikaler Vorkommnisse ab Mitte der 1980iger Jahre auch gezieltere Nachforschungen durch das Ministeriums für Staatssicherheit und die lokalen Polizeibehörden über Tatbeteiligte und deren Umfeld vorgenommen wurden. Der Ermittlungsdruck gegenüber offen auftretenden Skinheadgruppierungen in der Region nahm zu.

Etablierung einer rechtsradikalen Jugendkultur in der Zeit der Wiedervereinigung

Bis zum Jahr 1991 wurden zahlreiche neonazistische Schmierereien und Propagandadelikte in Hoyerswerda und Umland registriert. Wie u.a. aus Verhörprotokollen der Volkspolizei hervorgeht, stieß rechtsradikales Gedankengut seit dem Jahr 1989 vermehrt bei Jugendlichen auf regen Zuspruch. In Wowtscherks Studie finden sich darüber hinaus zahlreiche Dokumente, die auf entsprechende Personenzusammenhänge von 15- bis 20-Jährigen im Stadtgebiet verweisen. Jene besaßen zum damaligen Zeitpunkt bereits feste Treffpunkte, wie etwa den Jugendclub „Einstein“ oder die Gaststätten „Ratskeller“ und „Zur Post“, in denen ihr offensives Auftreten toleriert oder gar positiv zur Kenntnis genommen wurde.

Wie aus der Chronik von Waibel hervorgeht, stiegen auch die gewalttätigen Angriffe auf MigrantInnen in der Region insbesondere im Umfeld von Gaststätten und Diskotheken seit 1988 sprunghaft an. In einem Artikel der taz vom 07.05.1990 ist zu lesen, dass schließlich allein im April jenen Jahres 14 Polizeieinsätze notwendig waren, „um Streitigkeiten zwischen deutschen Jugendlichen und (…) Mosambikanern zu schlichten. Immer waren Pöbeleien der Weißen gegenüber den ausländischen MitbewohnerInnen die Ursache gewesen.“

Die Gründung der „Neuen Deutschen Ordnung“

Neonazistische Parteien und Gruppierungen aus den alten Bundesländern konnten zwar unmittelbar nach dem Fall der Mauer noch nicht in größerem Maße in der Stadt Fuß fassen. Wie Zeitungsberichte der Rundschau für Nordsachsen vom 15.03.1991 und der taz vom 23.09.1991 belegen, gelang es jedoch einer Gruppe von Rechtsradikalen um den Hoyerswerdaer Manfred Gnecko nach der Wiedervereinigung eine selbsternannte „Bürgerwehr“ unter dem Namen „Neue Deutsche Ordnung“ zu etablieren.

Im Artikel des Rundschau-Reporters, der die “Neue Deutsche Ordnung“ eine Nacht lang auf ihrer „Streife“ begleitet hatte, heißt es: „Die Mitglieder (…) haben nach ihrer Aussage die Bekämpfung der Straftaten in die eigene Hand genommen“ und „postulierten ihren Anspruch für Recht und Ordnung zu sorgen“. Bezüglich seiner eigenen Rolle als Medienvertreter schreibt er weiter: „Wenn wir die Thematik nochmals aufgreifen, dann nicht um ein Urteil abzugeben, oder vorzuverurteilen, sondern auf ein drängendes Problem aufmerksam zu machen – die steigende Kriminalität in den Städten und Gemeinden unseres Kreises.“

Neonazis als gesellschaftlicher Ordnungsfaktor

Diese unkritische Haltung gegenüber den Akteuren charakterisiert eindrücklich den mit dem Zusammenbruch der DDR spürbar zunehmenden Vertrauensverlust gegenüber staatlichen Institutionen und rechtsstaatlicher Autorität in Teilen der Bevölkerung. In diesem gesellschaftlichen Klima bot sich für rechtsradikale Zusammenhänge auch in Hoyerswerda die Möglichkeit, positiv als Ordnungsfaktor in unsicheren Zeiten wahrgenommen zu werden. Erst als die „Neue Deutsche Ordnung“ „in der Öffentlichkeit als neofaschistische Organisation enttarnt worden war und die Polizei mehrmals die Wohnungen nach Waffen durchsucht hatte, sei man ,auseinandergegangen‘“, berichtete Gnecko damals gegenüber der taz.

 

Weitere Informationen auf anderen Seiten:

Bereich "Nachbarschaft": "Hoyerswerda war schon immer eine harte Stadt" – Interview mit Jens, der den September 1991 als alternativer Jugendlicher in Hoyerswerda erlebte.

 

Quellen:

„Der Diensthabende wünscht sie nicht zu sprechen“. Rundschau für Nordsachsen vom 15.03.1991.

„Seit der Wende verfallen die deutschen Tugenden“. TAZ vom 23.09.1991.

Waibel, Harry (2016). Neonazistische, rassistische und antisemitische Einstellungen und Gewalt in Hoyerswerda und Umgebung von 1960 bis 2013.

Wowtscherk, Christoph (2014). Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 119-160.

Hintergrund

Vorgeschichte: Vorboten des Pogroms vom September 1991

Nachdem sich zu Beginn der 1990iger Jahre eine rechtsradikale Jugendkultur in der Region herausbilden konnte, die starken Zulauf erfuhr und nur vereinzelt auf Widerspruch stieß, wurden Angriffe auf Wohnheime von MigrantInnen zur Normalität.

 

Zuspitzung der Konfliktlage

Volkspolizei-Bericht vom 04.04.1989

Wie stark sich das ausländerfeindliche Konfliktpotential bereits kurz vor der Wiedervereinigung in der Region zugespitzt hatte, lässt sich auch anhand eines Hinweisschreibens der Volkspolizei über einen durch Jugendliche geplanten Angriff auf das Vertragsarbeiterwohnheim in Lauta vom 04.04.1989 nachvollziehen (siehe Dokument). Darin ist zu lesen, dass am vorherigen Tag „aus mehreren Teilen der Bevölkerung von Lauta, unabhängig voneinander“ Hinweise an die Polizei ergingen, „daß sich (...) ca. 50 Jugendliche formiert haben, um einen Angriff auf das Wohnheim der Mosambiquaner in der Thälmannstr. in Lauta durchzuführen.“ Aufgrund der erhöhten Gefahrenlage sei daraufhin u.a. veranlasst worden, „daß sich die Mosambiquaner größtenteils im Wohnheim aufhalten und keine Gaststätten und Jugendtanzveranstaltungen besuchen“ sollten.

Um die Situation zu entschärfen, „die in der Vorbereitung und Durchführung der Vorwahlen negative Auswirkungen haben kann“, seien, wie es in dem Dokument weiter heißt, „alle Funktionäre der örtl. Volksvertretung, Betriebe, Sportgemeinschaften und anderer staatlicher und gesell. Organisationen“ angehalten worden, „in ihren Kollektiven Öffentlichkeitsarbeit zur Beruhigung der Bevölkerung (…) zu leisten.“

Ankündigung: "Heute fließt das erste Ausländerblut"

Auf die rechten Jugendgruppen in der Region hatten diese Maßnahmen jedoch offenbar keine abschreckende Wirkung mehr. Knapp zwei Wochen später ging, laut einer Meldung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Cottbus vom 19.04.1989, ein anonymer Drohanruf im Polizeirevier in Hoyerswerda ein. Der Anrufer kündigte darin an: „Heute fließt das erste Ausländerblut“ (siehe Dokument).

Rassistische Ausschreitungen am 1. Mai 1990

Im darauffolgenden Jahr erreichten rechte Angriffe auch in Hoyerswerda selbst eine neue Eskalationsstufe. Nach schweren rassistisch motivierten Ausschreitungen am 1.Mai 1990 kam die Stadt erstmals bundesweit in die Schlagzeilen. Ein Beitrag der taz vom 07.05.1990 berichtet, wie sich mehrere Gruppen Jugendlicher dazu verabredet hatten, auf einem Rummelplatz an der Ernst- Thälmann- Straße gezielt MigrantInnen zu attackieren. Im Verlauf des Tages schlugen sie einen Mosambikaner so zusammen, „daß er mit schweren Prellungen vor allem am Kopf ins Krankenhaus eingeliefert“ werden musste. In der Folge kam es zu Auseinandersetzungen zwischen 150 bis 200 Deutschen und etwa 50 Vertragsarbeitern aus dem nahe gelegenen Wohnheim. Als diese sich schließlich in die Unterkunft zurückzogen, wurde das Gebäude von der Menschenmenge belagert.

Die taz schildert die weiteren Geschehnisse wie folgt: „Als die Mosambikaner von ihren Balkonen aus die Beschimpfungen der Weißen beantworten, beginnen diese, mit Steinen zu werfen. Dreißig Fensterscheiben gehen zu Bruch, viele Balkonverkleidungen werden zerstört. Verfolgt werden die Ausschreitungen von etwa 1500 Schaulustigen, AnwohnerInnen und PassantInnen. Ihre Reaktion reicht von reiner Schaulust über wohlwollende Zustimmung bis zu anfeuernden Rufen. (…) Erst nachdem (…) alle Polizisten des Kreises Hoyerswerda zusammengerufen und mit Schlagstöcken, Helmen und Schildern ausgerüstet“ sind, „gelingt es (…) die Ausschreitungen zu beenden.“ Im Nachgang äußerte Peter Bergmann, der damalige Pressesprecher der Volkspolizei Hoyerswerda , gegenüber der Zeitung: „Wir gehen davon aus, daß es solche Vorkommnisse verstärkt geben wird.“

Angriffe auf Wohnheime werden zum „Event“

In der Nacht auf den 03.10.1990, dem Tag der deutschen Einheit, fand jene Vorahnung erneut Bestätigung. Nach einer Feier zogen etwa 50 rechtsradikale Jugendliche mit einem Transparent zum Wohnheim auf der Zetkin-Straße, riefen rassistische Parolen und warfen Steine auf das Gebäude. Christoph Wowtscherk kommt in seiner Studie von 2014 anhand der Analyse von Vernehmungsprotokollen einiger am Vorfall Beteiligter zu dem Schluss: „Der Angriff (...) wurde belustigt und in Feierlaune begangen. Die Menge tobte sich regelrecht aus. Die Fremdenfeindlichkeit wurde zum Event.“

Aufgrund des spontanen Charakters der Aktion stellte die Polizei im Nachgang nicht nur keinen Bezug zu vorhandenen rechtsradikalen Personenkreisen in der Stadt her, sondern verharmloste den Vorfall gegenüber der Öffentlichkeit mit dem jungen Alter der Beteiligten und dem Verweis auf deren exzessiven Alkoholkonsum. Darauf ,„dass diese Einschätzung (...) getrogen hatte“, verweist Wowtscherk mit Blick auf die Ereignisse vom Herbst 1991. Er schreibt: „Von den 16 Jugendlichen, die am 3. Oktober 1990 festgenommen wurden, waren mindestens zwei auch an den Gewalttaten 1991 beteiligt.“

 

Quellen:

Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Cottbus Arbeitsgruppe XXII. Meldung über anonymen Anruf vom 19.04.1989 (BStU, MfS, BV Cottbus, AKG, 1509, Bl. 3f.).

Nach der Fete wollten sie „Neger aufklatschen“. taz vom 07.05.1990.

Volkspolizei-Kreisamt Hoyerswerda – Gruppenposten Lauta, Operativer Hinweis, 04.04.1989.

Wowtscherk, Christoph (2014): Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 149-160.

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