Weil sich Politik und Polizei nicht im Stande sahen, die Angriffe auf die Unterkunft der Asylsuchenden zu stoppen, mussten die Betroffenen unter dem Applaus und Gejohle viele AnwohnerInnen die Stadt verlassen. Einigen von Ihnen gelang die Flucht nach Berlin, anderen nach Westdeutschland.

Filme

Vertreibung der Geflüchteten

Nachdem die Angriffe auf die Unterkunft der Asylsuchenden nicht abrissen und die Polizei nicht in der Lage war, die BewohnerInnen zu schützen, wurden sie schließlich aus der Stadt evakuiert.

Abgeschoben nach Meißen

Die aus Hoyerswerda vertriebenen Asylsuchenden wurden u.a. in einem Wohnheim in Meißen untergebracht. Dort bleiben wollten sie nicht.

TV-Bericht zu den Angriffen 1991

Szenen aus einem Fernsehbericht zur Vertreibung der Asylsuchenden aus der Thomas-Müntzer-Straße und einige Stimmen von AnwoherInnen. (Quelle: YouTube)

Hintergrund

Appell der Flüchtlinge aus Hoyerswerda

Nach ihrer Vertreibung aus Hoyerswerda flohen einige der Asylsuchenden aus Hoyerswerda nach Berlin. Dort veröffentlichten sie folgenden Appell:

Wir entschuldigen uns dafür, euch Berlinerlnnen im Besonderen und die Deutschen im Allgemeinen, mit einer Anfrage die wir Euch heute unterbreiten, zu belästigen. Einerseits scheint es wie eine Belästigung, andererseits ist es berechtigt und unbedingt notwendig, Euch diese Anfrage bedenken zu lassen Wir sind die Flüchtlinge aus Hoyerswerda‚ die während unseres
Aufenthalts dort sehr schlecht von der Bevölkerung behandelt wurden und schließlich von sogenannten Skinheads gewalttätig aus unserem Flüchtlingsheim gejagt wurden – grundlos, wie
diese sehr wohl wußten.

Wir mußten Schutz finden. Es gab keinen anderen Platz zur Flucht als Berlin, wo unsere momentane Sicherheit durch die große Hilfe einer Kirchengemeinde und die beständige Arbeit autonomer Gruppen gewährleistet ist.

In dieser Situation ist unserer einziger Appell an den Berliner Innensenat, daß der Innensenator Verständnis für unsere Umstände aufbringe und uns als Flüchtlinge in seinem Verantwortungsbereich aufnehme.

Noch stärker ist unser einziger Appell an die Öffentlichkeit, uns als Menschen zu sehen, die ihre Heimatländer verlassen mußten, um für uns gefahrvolle Situationen zu vermeiden, und uns deshalb etwas Gastfreundschaft und Herzlichkeit entgegenzubringen.

Wir freuen uns über jede Art der Unterstützung.

Es ist unsere tiefe Hoffnung, daß dieser Appell auf offene Ohren stoßen wird, wir vertrauen auf Eure Kooperation und Herzlichkeit.

Danke,

Die Flüchtlingen aus Hoyerswerda

 

Quelle:

Appell der Flüchtlinge aus Hoyerswerda. Interim vom 17.10.1991.

Hintergrund

Flucht der Geflüchteten

Nachdem die mosambikanischen Vertragsarbeiter zum Teil noch während des Pogroms klammheimlich aus der Stadt gebracht und nach Mosambik zurückgeschickt wurden, verlief die Evakuierung des Wohnheims für Asylsuchende weitaus dramatischer. Bis zu 1.000 Personen bejubelten die Abreise der BewohnerInnen. Wiederum kam es zu Angriffen. Da die Geflüchteten gegen ihren Willen auf andere Wohnheime in Sachsen verteilt wurden und weitere Anfeindungen fürchteten, entschlossen sich zahlreiche Betroffene auf eigene Faust nach Westdeutschland zu gelangen. Unterstützung erhielten sie dabei unter anderem von autonomen Flüchtlingsgruppen aus Berlin.

Räumung des Wohnheims für Asylsuchende

Am Freitag, dem 20.09.1991, hatten sich die Angriffe vom Wohnheim der Vertragsarbeiter auf die Unterkunft der Asylsuchenden in der Thomas-Müntzer-Straße ausgeweitet. Noch am nachfolgenden Sonntag beschloss die Stadtverwaltung in Abstimmung mit dem Landkreis sowie dem sächsischen Innenministerium jenes Gebäude ebenfalls zeitnah zu räumen. Wie aus einem Artikel der Lausitzer Rundschau vom 24.09.1991 hervorgeht, sahen sich die Verantwortlichen zu diesem Schritt veranlasst, da ein „erhebliches Sicherheitsrisiko“ für die BewohnerInnen des Heims bestand. Laut einer Presseerklärung sollte zunächst geprüft werden, ob eine Unterbringung in einem nahegelegenen Objekt der Bundeswehr möglich sei, bis sich eine neue Unterkunft im Landkreis finden ließe. Tatsächlich erfolgte die Evakuierung jedoch bereits am nächsten Tag, wobei ein Großteil der Asylsuchenden in mehreren Bussen aus der Stadt gebracht und auf andere Regionen in Sachsen verteilt wurde. Diejenigen, die über eigene PKWs verfügten, schlossen sich dem Konvoi an.

Nach den Recherchen von Christian Wowtscherk verließen die ersten Busse Hoyerswerda kurz nach 18 Uhr und fuhren 50 Asylsuchende nach Meißen. Etwa eine Stunde später erfolgte die Verlegung von weiteren 110 BewohnerInnen aus der Unterkunft nach Pirna und Rosenthal. 13 Personen fanden zunächst in einer kirchlichen Einrichtung im nahegelegenen Schwarzkollm Zuflucht. Bis zu 1.000 Menschen sammelten sich im Laufe des Tages vor dem Wohnheim, um das Geschehen zu verfolgen. Während die Polizei im Nachgang davon sprach, dass „die Stimmung (…) interessiert und sachlich“ gewesen sei und „Hetzversuche von rechten Gruppen (…) erfolglos“ geblieben wären, zeichnen zahlreiche Augenzeugenberichte ein anderes Bild.

Demzufolge bejubelte die Menge nicht nur die Abreise der Asylsuchenden, es wurden auch Feuerwerkskörper und Gegenstände auf das Gebäude und die abfahrenden Busse geworfen. Selbst als ein Bewohner aus Verzweiflung versucht hatte, sich aus dem vierten Stock der Unterkunft zu stürzen, kam es, laut einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 25.09.1991, zu Beifallsbekundungen der Umstehenden. Der Journalist Jens Mattussek, der in einem der Busse mitfuhr, schildert die Gewalt, mit der die Betroffenen bei ihrer Abreise konfrontiert waren, in einem Spiegelartikel vom 30.09.1991 wie folgt: „Tam Le Thanh, ein 21jähriger Junge aus Hanoi, hat einen Fensterplatz. Er hatte in die zähnebleckende Menge hinausgewinkt, krampfhaft grinsend, um seine Angst zu verbergen. Plötzlich verschwindet sein Gesicht hinter einem Netz aus Glassprüngen. In der Scheibe klafft ein häßliches Loch. Tam bricht blutüberströmt im Polster zusammen. ,Treffer‘, brüllt einer aus der Menge. Die anderen applaudieren. Thai Binh, Tams Freund, ruft um Hilfe. Der Fahrer startet durch. Nur weg hier.“

Der Hass auf MigrantInnen war in Teilen der regionalen Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt bereits derart entfesselt, dass er nicht einmal durch die Zwangsevakuierung der beiden Wohnheime in Hoyerswerda gestillt werden konnte. Die Polizei musste eine unmittelbare Verfolgung der Busse durch Schutzmaßnahmen unterbinden. Wie aus einer Einsatzmeldung hervorgeht, ließen sich einige Neonazis davon jedoch nicht abschrecken und versuchten vor eine Bundeswehrkaserne in Kamenz zu gelangen, weil sie dort die Ankunft der Geflüchteten vermuteten. In Schwarzkollm wurden die Ankommenden sogar noch in der selben Nacht erneut fortgebracht, da sich auch hier AnwohnerInnen vor ihrer Unterkunft versammelt hatten.

Fahrt ins Ungewisse

Mattusseks Beschreibungen der dramatischen Stimmung unter den Asylsuchenden zeugen nicht nur von deren Traumatisierung durch die Ereignisse. Sie legen auch nahe, dass sie über ihren weiteren Verbleib offenbar völlig im Unklaren gelassen wurden: „Immer wieder gerät die Karawane ins Stocken. Panik bricht (...) aus, als das Gerücht die Runde macht, sie würden über die nahe Grenze abgeschoben. Ein Rumäne droht sich und seine fünf Kinder umzubringen. (…) Nach zwei Stunden Fahrt in den Süden, kurz vor Pirna, hält der Konvoi. Endlich wird ein Rettungswagen herbeigerufen, der den verletzten Tam zu einer Augenärztin bringt.“

Als im Verlauf der Nacht schließlich die Zuteilung der Evakuierten auf Unterkünfte in den Zielorten erfolgen sollte, traten erneut Komplikationen auf. Einige der Wohnheime waren bereits überfüllt und nur unzureichend auf die Ankunft weiterer Personen vorbereitet. Nach Protesten über die vorherrschenden Zustände kam es vereinzelt zu Umverteilungen. In Rosenthal und Meißen weigerten sich etliche Asylsuchende zunächst gänzlich ihre Busse zu verlassen. 12 Personen konnten, laut einer Mitteilung der Polizeidirektion Riesa, erst am Morgen des übernächsten Tages dazu gebracht werden, auszusteigen. In einem Bericht, der am 26.09.1991 in der Zeitung „Neue Zeit“ erschien, werden die Ereignisse der Nacht aus Sicht einiger Betroffener so geschildert: „In Meißen wurde der Bus in eine stillgelegte Fabrik in der Nähe eines Bahngeländes gebracht. ,Dort sollten wir in die Umkleidekabinen der ehemaligen Arbeiter gehen. Überall war ein fürchterlicher Gestank. Daraufhin haben wir uns geweigert, den Bus zu verlassen.‘“

Schon zu Beginn der Angriffe auf das Asylsuchendenheim in Hoyerswerda hatten sich einige BewohnerInnen vor dem Haus versammelt und forderten auf Transparenten eine sofortige Verbringung nach Westdeutschland, weil sie ihre Sicherheit in den neuen Bundesländern nicht mehr gewährleistet sahen. Spätestens als die Busse in Pirna, Meißen und Rosenthal eingetroffen waren, wurde den Evakuierten klar, dass diese Bitte kein Gehör fand. Statt dessen schienen sich ihre Befürchtungen vor weiteren Anfeindungen zu bestätigen. Einer der Betroffenen sagte dazu, laut „Neue Zeit“: „In Meißen haben wir unter einer Brücke ausländerfeindliche Parolen gelesen. Da wußten wir, daß wir in eine Stadt gekommen sind, in der es wieder Probleme gibt.“

Flucht nach Westdeutschland

Die Angriffe in Hoyerswerda und die Erfahrungen während der anschließenden Verlegung veranlassten viele Betroffene letztlich zur eigenständigen Flucht nach Westdeutschland. Wie die Frankfurter Rundschau am 25.09.1991 mitteilte, hatten sich zunächst 16 Personen in Richtung Niedersachsen aufgemacht, um dort Schutz zu suchen: „Auf eigene Faust seien sie (…) nach Dresden und ohne Fahrkarten mit dem Zug nach Hannover gefahren.“ Weitere „14 Flüchtlinge aus Angola setzten sich nach Berlin ab, wo sie im März ihre Asylanträge gestellt hatten, ehe sie nach Hoyerswerda verlegt worden waren.“ Laut einem Sprecher des sächsischen Innenministeriums hatten sich zudem schon im Verlauf der Evakuierung einzelne Fahrzeuge aus dem Konvoi gelöst und in Richtung der alten Bundesländer begeben.

Auch die in Hannover ankommenden Asylsuchenden, die vorher nach Pirna verlegt worden waren, erhoben auf Grund des Ablaufs ihrer Umverteilung schwere Vorwürfe. Die „Neue Zeit“ führt hierzu aus: „In Pirna hätten sie den Bus verlassen müssen. Ohne Begleitung von Sozialarbeitern oder Polizei hätten sie die Nacht ohne Verpflegung im Freien verbracht.“ Von Seiten der sächsischen Staatskanzlei wurde diese Darstellung dementiert. Ein Regierungssprecher sagte, laut Sächsischer Zeitung vom 01.10.1991, „vielmehr hätten sich 14 Vietnamesen geweigert in (…) Pirna auszusteigen und den sofortigen Weitertransport in das alte Bundesgebiet gefordert. Nach ausführlichen Gesprächen wären sie jedoch bereit gewesen, (…) im vorbereiteten Asylbewerberwohnheim ein Quartier zu nehmen.“

Das Schicksal der Betroffenen aus Hoyerswerda sorgte in der politischen Debatte über die Sicherheit von Geflüchteten in den neuen Bundesländern für Zündstoff. Auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau über den zukünftigen Verbleib der nach Niedersachsen gelangten Personen sagte ein Sprecher des Ministeriums für Bundesangelegenheiten: „Wir schicken Menschen nicht in Länder (zurück), wo sie an Leib und Leben bedroht sind.“ Der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) sperrte sich jedoch gegen deren dauerhafte Aufnahme. Jürgen Trittin (Grüne) erklärte schließlich in einem Brief an den sächsischen Innenminister, dass das Land Niedersachsen sich zu einer „vorübergehenden Aufnahme“ der Betroffenen bereit erkläre. Laut Sächsischer Zeitung handelte es sich dabei jedoch „um eine einmalige Aktion (…), die sich in dieser Form nicht wiederholen werde.“

Offensichtlich waren die Regierungen der alten Bundesländer sehr darum bemüht, die zunehmenden Fluchtbewegungen von Ost- nach Westdeutschland einzudämmen. Zudem traten Fälle auf, in denen Asylsuchende aus den Neuen Bundesländern sogar bewusst zurück in ihre zentralen Aufnahmestellen in der alten Bundesrepublik gebracht worden waren. So schrieb die taz am 02.09.1991, dass ein Pfarrer aus dem sächsischen Wurzen schon im August den Rücktransport von Geflüchteten nach Hessen veranlasste, nachdem Neonazis ihr Wohnheim überfallen hatten und ihre Sicherheit nicht mehr garantiert werden konnte.

Wie aus einem anderen taz-Artikel gleichen Datums hervorgeht, hatte trotz der anhaltenden Gewaltwelle gegen MigrantInnen bis dato kein deutsches Gericht „die Zwangsverteilung von Flüchtlingen in die neuen Bundesländer gestoppt“, obwohl die Sicherheitsbedenken, die ihre Unterbringung betrafen, längst offenkundig waren. In einem entsprechenden Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster traf etwa das „Berliner Büro der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung“ eine „Einschätzung der Gefährdungslage“, in der es hieß: „Eine Bilanz der bisherigen Übergriffe läßt den Schluss zu, dass im Falle akuter Bedrohung der Schutz der ausländischen Bewohner nicht gewährleistet werden kann. In der Regel handelt es sich (bei den Flüchtlingsunterkünften) um ehemalige Kaderschulen oder Freizeitheime, die nur durch zusätzliche Baumaßnahmen mit halbwegs vertretbarem Personalaufwand gesichert werden könnten. Selbst die ehemaligen Arbeiterwohnheime, die nur über einen zentralen bewachten Zugang verfügten, sind nicht mehr vor Übergriffen Rechtsradikaler sicher.“

Die tatsächliche Zahl der Asylsuchenden, die sich im Jahresverlauf 1991 ihrer Unterbringung in den neuen Bundesländern aus Angst vor rechten Übergriffen entzogen, lässt sich nicht ermitteln. Der Spiegel berichtete jedoch am 30.09.1991, dass „die Ost-Länder“ durch diesen Umstand „ihre Aufnahmequote trotz der allwöchentlichen Umverteilung bislang höchstens zur Hälfte erfüllen“ konnten.

Unterstützung in Berlin

Presseerklärung der Koordination Autonomer Flüchtlingsgruppen

Wie die Journalistin Heike Kleffner in einem Beitrag aus dem Jahr 2014 schildert, „machten sich autonome Aktivist_innen aus Berlin“ bereits kurz nach der Evakuierung des Wohnheims für Asylsuchende in Hoyerswerda „wieder auf den Weg nach Sachsen, um die Flüchtlinge (…) zu suchen und ihnen Unterstützung anzubieten.“ „Innerhalb von zwei Tagen nutzten“, laut Kleffner, „48 Flüchtlinge die Unterstützungsangebote, um Sachsen zu verlassen und ins sicherere Berlin zu fliehen – wo sie in autonomen Hausprojekten und besetzten Häusern eine erste Unterkunft fanden.“

Am 01.10.1991 wurde aus diesem UnterstützerInnenkreis eine „Presseerklärung der Koordination Autonome Flüchtlingsgruppen (...)“ veröffentlicht, in der es hieß: „Seit heute Mittag haben wir (…) die Passions- Kirche am Marheinecke-Platz besetzt. Mit dieser Aktion unterstützen wir Flüchtlinge, die aus Hoyerswerda nach Berlin geflohen sind. Die meisten von ihnen sind seit Anfang letzter Woche in Berlin, sie wurden von uns untergebracht, wir boten ihnen Schutz und juristische Beratung. Aufgrund ihres illegalen Status (…) haben wir die verschiedenen Unterbringungsorte bisher geheim gehalten. (…) In einer am 25.09. von uns gemeinsam (…) organisierten Pressekonferenz im Rathaus Schöneberg konnten die Flüchtlinge selbst zu Wort kommen. (…) Wir stellten gleichzeitig an das Abgeordnetenhaus von Berlin die Forderungen nach: Sofortiger Aufnahmegarantie für die aus Hoyerswerda und anderen Orten nach Berlin geflohenen Flüchtlinge!, Gewährung von Sozialhilfe dort, wo sie sich z. Zt. Aufhalten! Freie Wahl ihres Aufenthaltsortes für alle Flüchtlinge!(...)“

Zudem setzten sich die AktivistInnen mit lokalen Kirchengemeinden in Verbindung und forderten von ihnen unter anderem „den politischen Druck auf den Senat zu verstärken“, damit „die Forderungen der Flüchtlinge erfüllt werden“. Darüber hinaus verlangten sie die „Gewährung eines öffentlichen Kirchen-Asyls bis zur politischen Entscheidung“. Auch die Betroffenen wandten sich mit einem eigenen Schreiben an die Öffentlichkeit, in dem sie ausführten: „In dieser Situation ist unser einziger Appell an den Berliner Innensenat, daß der Innensenator Verständnis für unsere Umstände aufbringe und uns als Flüchtlinge in seinen Verantwortungsbereich aufnehme. Noch stärker ist unser einziger Appell an die Öffentlichkeit, uns als Menschen zu sehen, die ihre Heimatländer verlassen haben, um für uns gefahrvolle Situationen zu vermeiden, und uns deshalb etwas Gastfreundschaft und Herzlichkeit entgegenzubringen.“

Die evangelische Landeskirchenleitung bot den Geflüchteten aus Hoyerswerda daraufhin tatsächlich „die Villa des verstorbenen Bischofs Kurt Scharf in Dahlem als Unterkunft an“. Diese Option währte jedoch nur drei Wochen. Während in Hoyerswerda auf Initiative des Bürgermeisters und des Landkreises noch zu Solidaritätsspenden für die Gemeinde aufgerufen wurde, „verließen die 48 Binnenflüchtlinge (…) die bischöfliche Villa (...) wieder: Sie hatten vom Berliner Senat (...) eine auf zunächst zwei Monate befristete ,vorläufige Aufenthaltsgenehmigung‘ in Berlin erhalten und wurden nach Herkunftsländern aufgeteilt (...) in mehreren Flüchtlingsheimen in innerstädtischen Bezirken untergebracht.“ Wie Kleffner weiter ausführt, kam es daraufhin am 24.10.1991 zur Besetzung von Räumen in der Technischen Universität Berlin, „um auf die rechtlich und materiell völlig prekäre Situation dieser Doppel- oder Binnenflüchtlinge aufmerksam zu machen und gleichzeitig tatsächliche Schutzräume zu schaffen“. Damit vollzog sich auch die Gründung eines „Antirassistischen Zentrums“ (ARZ), in dem binnen weniger Wochen über 100 Personen Zuflucht suchten.

 

Quellen:

„Psychisch nicht zu verkraften“. Spiegel vom 09.09.1991.

16 Asylbewerber „retteten“ sich nach Hannover. Lausitzer Rundschau vom 01.10.1991.

3. Presseerklärung der Koordination Autonomer Flüchtlingsgruppen vom 01.10.1991. Interim vom 03.10.1991.

Alle Asylbewerber evakuiert. Lausitzer Rundschau vom 25.09.1991.

Angolaner auf Abstellgleisen. Neue Zeit vom 26.09.1991.

Appell der Flüchtlinge aus Hoyerswerda. Interim vom 17.10.1991.

Asylanten aus Hoyerswerda suchen Zuflucht. Neue Zeit vom 26.09.1991.

Auszüge aus Polizei- und Lageberichten vom 17.09. - 25.09.1991. Verfügbar unter: http://www.hoyerswerda.de/documente/Ausstellung_Herbst1991_Erdgeschoss.pdf (zuletzt aufgerufen am 12.08.2016).

Behördenwillkür gegen Asylbewerber in Sachsen. TAZ vom 26.09.1991.

Die Flucht vor der Gewalt der Straße. Frankfurter Rundschau vom 25.09.1991.

„Eine Pause zur Aufbereitung der angestauten Probleme“. Rundschau für Nordsachsen vom 24.10.1991.

Flüchtlinge erheben Vorwürfe gegen sächsische Behörden. Frankfurter Rundschau vom 25.09.1991.

Jagdzeit in Sachsen. Der Spiegel Nr. 40/1991 vom 30.09.1991.

Kleffner, Heike (2014): Fünf Monate „Antirassistisches Zentrum“ – Die Besetzung der TU Berlin 1991/92. In: Berliner Zustände – Ein Schattenbericht über Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus im Jahr 2013, S. 80-86.

Unterstützung für die Kirchengemeinde in Dahlem. Lausitzer Rundschau vom 13.11.1991.

Überfallene Flüchtlinge kehren aus Sachsen nach Hessen zurück. TAZ vom 02.09.1991.

Wir müssen richtigen Umgang miteinander noch lernen. Sächsische Zeitung vom 05.09.1991.

Wowtscherk, Christoph (2014): Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 178-180, 225, 229.

Hintergrund

»Es war jedes Mal ein großer Kampf« - Interview mit Emmanuel Adu Agyeman

Emmanuel Adu Agyeman floh Anfang 1991 aus Ghana nach Deutschland und kam wenig später nach Hoyerswerda, wo er in dem angegriffenen Wohnheim für Asylsuchende in der Thomas-Müntzer-Str. untergebracht war. Im Jahr 2014 gab er dem "Kollektiv Dostluk Sineması" aus Köln ein Interview, in dem er über seine damalige Zeit in Hoyerswerda, die Angriffe vom Herbst 1991 und seinen anschließenden Kampf um ein Bleiberecht sowie seine erneuten Besuche in Hoyerswerda berichtete. Das Interview erschien zuerst in der Publikation "Vom Mauerbau bis zur Nagelbombe" der Amadeu-Antonio-Stiftung und wurde im Jahr 2020 im Sammelband "Erinnern stören - Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive" erneut abgedruckt.

Emmanuel Adu Agyeman (Bild: Julia Oelkers)

Emmanuel, Du bist als Flüchtling aus Ghana nach Hoyerswerda gekommen. Welche Situation hast Du dort vorgefunden?

Ich bin nicht direkt nach Hoyerswerda gekommen, sondern wir sind zunächst in Frankfurt gelandet, das war im Januar 1991. Von dort aus sind wir nach Limburg gebracht worden, wo wir medizinisch untersucht wurden, woraufhin wir nach Schwalbach und danach, im März, nach Hoyerswerda geschickt wurden. Das war die Zeit kurz nach dem Mauerfall. Damals wurde jeder, der Asyl in Deutschland beantragte, nach Ostdeutschland geschickt. So sind wir nach Hoyerswerda gekommen.

Warum bist Du nach Deutschland gekommen und welche Erwartungen hattest Du an Deutschland?

Mein Bild von Deutschland … Wir haben uns niemals vorgestellt, dass wir mit Rassismus konfrontiert werden würden. Denn wir dachten, dass die Deutschen zivilisiert seien würden, aufrichtige und offene Menschen. Als ich die Entscheidung traf, Ghana aus politischen Gründen zu verlassen, suchte ich Deutschland als Ziel aus. Ich kannte einige Ghanaer, die auch in Deutschland Asyl gesucht hatten. Sie führten hier ein gutes Leben, denn sie waren in Westdeutschland untergebracht worden. Aber wir hatten das Pech, in die ehemalige DDR geschickt zu werden, wo wir mit sehr viel Rassismus konfrontiert wurden.

Habt Ihr bereits vor den Tagen des Pogroms von Hoyerswerda Rassismus erfahren müssen?

Am Anfang, in Limburg, haben wir viele gute Erfahrungen mit den Leuten dort gemacht. Als wir nach Ostdeutschland geschickt wurden, haben uns andere Flüchtlinge, die schon länger dort waren, erzählt, dass der Ort nicht so gut sei und dass man unmöglich in dieser Gegend bleiben könne. Wir haben das am Anfang nicht geglaubt. Aber man muss da bleiben, wohin man geschickt wird, sonst stecken sie dich in einen Bus und schicken dich wieder dorthin zurück.

Was für eine Situation hast Du in der Flüchtlingsunterkunft in Hoyerswerda vorgefunden? Woher kamen die anderen Flüchtlinge? Und was für Menschen hast Du dort kennengelernt?

Als wir nach Hoyerswerda geschickt wurden, waren wir 15 Ghanaer, drei Äthiopier, zwei Marokkaner und fünf Nepalesen. Wir wurden zusammen mit dem Bus aus Schwalbach geradewegs nach Hoyerswerda gebracht. Es war kein Flüchtlingslager im eigentlichen Sinne. Wir lebten in der Thomas-Müntzer-Straße, in einer alten russischen Kaserne.

Wir kamen gegen 10 Uhr abends an und sahen ein paar schwarze Leute dort. Leider waren die aus Angola und sprachen nur Portugiesisch und Französisch. Wir aus Ghana sprechen Englisch. Glücklicherweise sprach einer von uns Französisch, da er eine Zeitlang an der Elfenbeinküste gelebt hatte. Wir fragten sie, wie die Situation in Hoyerswerda sei und sie sagten, nicht so gut. Sie waren schon seit drei Monaten dort. Sie erklärten uns, dass wir jeden Tag zur Asylstelle gehen und dort ein Formular unterschreiben müssten, um zehn D-Mark zu erhalten. Nach ein paar Tagen trafen wir uns mit den Angolanern und beschlossen, diese Situation zu ändern, denn jeden Tag zur Asylstelle zu gehen, um Geld für das tägliche Essen zu erhalten, war einfach eine Zumutung. Manche Leute wollten auch reisen und ihre Verwandten in anderen Orten besuchen – aber wie willst du reisen, wenn du jeden Tag das Formular unterschreiben musst? Wir führten eine sehr harte Diskussion mit den Leuten von der Asylstelle und forderten, entweder monatliche Zahlungen zu erhalten oder wir würden nicht mehr kommen zum Unterschreiben. Nach einer Woche Boykott hatten wir schließlich Erfolg und sie gaben nach und sagten zu, uns am Ende des Monats das Geld auszuzahlen.

Die Flüchtlingsunterkunft in der Thomas-Müntzer-Straße war nicht weit von dem Haus in der Albert-Schweitzer-Straße entfernt, wo die Vertragsarbeiter aus DDR-Zeiten wohnten. Wann habt Ihr sie kennengelernt?

Fußläufiig war das Haus in der Albert-Schweizer-Straße etwa 15 oder 20 Minuten von unserer Unterkunft entfernt. Zunächst wussten wir nicht, dass Mosambikaner in Hoyerswerda waren. Aber sie wussten über uns Bescheid und kamen vorbei, um uns kennenzulernen. Das Problem war, dass sie kein Englisch, sondern nur Deutsch und Portugiesisch sprachen. Die Kommunikation war schwierig, aber wir konnten uns mit Zeichensprache verständigen. Sie waren sehr freundlich und boten uns an, mit ihnen in die Stadt zu gehen. Am Wochenende nahmen sie immer ein paar Leute mit, die gern in Clubs gingen und holten sie mit ihren Motorrädern. Jedes Mal, wenn sie abends ausgingen, gab es Auseinandersetzungen, denn die Deutschen mochten keine Schwarzen Leute in ihren Diskos. Aber die Mosambikaner sagten: »Wir leben hier, wir gehören dazu, wir sind Teil der Gesellschaft, also sind wir berechtigt in den Club zu gehen.« Jedes Mal beleidigten die Deutschen unsere Leute und legten sich mit den Mosambikanern an, bis es zum Kampf kam und die Polizei gerufen wurde.

Bist Du nicht in Clubs gegangen?

Nein, ich bin nie in die Disko gegangen. In der Zeit, als ich aus Ghana kam, war ich religiös eingestellt. Mein Glauben verbot mir, Alkohol zu trinken und in Clubs zu gehen. Aber in der Zeit in Deutschland hat sich mein Leben geändert (lacht).

Hattest Du selbst verbale oder auch physische Auseinandersetzungen in Hoyerswerda erlebt?

Ja, einmal habe ich eine Auseinandersetzung erlebt. Wir waren zwei Nigerianer und fünf Ghanaer, die regelmäßig in eine Kirche gingen, die Johanniskirche. Die Leute dort waren sehr nett. Ich zeigte ihnen, wie man in Ghana Messen abhielt, und dann zeigten sie uns, wie Messen hier abgehalten wurden. An einem Tag, als wir zu einem Jugendtreffen der Kirche gingen, trafen wir unterwegs auf eine Gruppe von Skinheads. Sie grölten, blockierten unseren Weg und sagten: »Ihr kommt hier nicht durch.« Wir versuchten zurück zu rennen, aber dabei fiel ich hin und sie konnten mich festhalten. Sie schlugen mit allem, was sie in die Hände bekamen. Ich versuchte mich zu wehren. Die Leute von der Kirche riefen die Polizei, die zum Glück schnell kam und intervenierte. Die Polizei befragte mich, wie es dazu kommen konnte. Ich konnte kein Deutsch, also versuchte ich es auf Englisch, aber sie verstanden mich nicht.

Wurden die Skinheads festgenommen?

Ja, sie wurden verhaftet, aber sie sagten, dass ich sie angegriffen hätte. Die Polizei brachte mich zu dem Kirchengelände, wo die jungen Leute von dort mich verteidigten. Aber alles, was sie machten, war, mich mit dem Polizeiauto zurück zur Thomas-Müntzer-Straße zu fahren. Und dann: »Tschüss, das war’s.«

Wie lange warst Du in Hoyerswerda, bevor die sogenannten »Tage von Hoyerswerda« begannen?

Wir waren acht Monate lang da, als der große Angriff kam. Aber schon vor dem großen Angriff erlitten wir viele, viele Angriffe, zum Beispiel wenn wir einkaufen gingen oder auf dem Weg zu den mosambikanischen Freunden. Leute grölten uns etwas zu und wir wurden mit Bananen beworfen. Wir erzählten es unseren Sozialarbeitern. Ganz am Ende, als die Mosambikaner für immer weggehen sollten, erlitten sie die große schwere Attacke, drei Tage lang. Es begann an einem Dienstag und dauerte bis Mittwoch, Donnerstag an. Aber sie waren wirklich gut ausgestattet und verteidigten ihr Leben. Es war eine brutale Sache. Am nächsten Tag hörten wir, dass die Angreifer fertig waren mit den Mosambikanern, denn diese verließen Hoyerswerda am Freitagmorgen. Auch diejenigen, die noch nicht bereit waren zu gehen, wurden noch am selben Tag gezwungen zu gehen, denn die Auseinandersetzung war so brutal. Dann entschieden sie, in die Thomas-Müntzer-Straße zu kommen. Es war ein Freitagmorgen und unsere Sozialarbeiter kamen zu uns und sagten, niemand sollte aus dem Haus gehen. Nach den Attacken auf die Mosambikaner wussten sie, dass die Angreifer mit der Thomas-Müntzer-Straße weiter- machen würden. Wir sollten nicht rausgehen. Also deckten wir uns morgens früh noch schnell mit Einkäufen ein und warteten dann, was passieren würde.

Wie viele Leute lebten im Flüchtlingsheim?

Es waren glaube ich 33 Ghanaer und Angolaner, zwölf Nigerianer, elf aus Bangladesch und sehr viele Osteuropäer, Jugoslawen und Rumänen. Insgesamt müssen es über 300 Menschen gewesen sein.

Was passierte dann?

Es begann gegen 18 Uhr. Da war eine Gruppe von Leuten auf Motorrädern. Sie stellten sich vor unser Heim auf und schmissen Steine. In dem Moment begannen wir, Panik zu verspüren. Gegen 20 Uhr hörten wir einen lauten Krach. Neben unserem Heim war ein großer Wald, da kamen sie her. Sie zündeten Feuer auf der Straße an. Dann nahmen sie die Müllcontainer, um die Straße von beiden Seiten zu blockieren, so dass kein Auto durchkommen konnte. Es gab auch eine Straßenbahnlinie, die vor unserem Heim entlangführte, aber nur bis 20 Uhr. Deswegen hatten sie diese Uhrzeit ausgesucht.

Du denkst also, es war gut organisiert?

Ja, es war gut organisiert. Denn zu jeder anderen Zeit wäre die Polizei eingeschritten, wenn die Straßenbahn blockiert worden wäre. Also warteten sie, bis die Straßenbahn nicht mehr fuhr. Die privaten Autos drehten um und fuhren davon.

Wie viele Leute waren es?

Es waren viele, bestimmt 30 bis 35 Leute. Es waren Skinheads, einige aus Dresden. Sie begannen Steine zu werfen und andere Dinge. Die Jugoslawen und die Rumänen begannen, zurück zu kämpfen. Sie kamen zu unseren Räumen und riefen uns zu: »Hey, Kollege, alles, alles!« Wir verstanden nicht, was sie mit »alles, alles« meinten. Sie meinten, wir sollten alle kommen und die Leute bekämpfen, denn wir waren mehr als sie. Aber die waren gut vorbereitet und warfen mit Steinen, schossen mit Gaspatronen und allem Möglichen. Ich sagte, es ist zu gefährlich, sich ihnen entgegenzustellen. Unsere Leute warfen mit Flaschen und ähnlichem zurück, mit Tellern, mit allem, was sie in die Hände bekamen. Die Sozialarbeiter riefen die Polizei, aber die Polizei von Hoyerswerda konnte sich gegen den Mob nicht durchsetzen. Sie riefen Unterstützung aus Cottbus und anderen Ortschaften, glaube ich. Aber die kam sehr spät, erst um fünf Uhr morgens. Bis dahin hatten die Nazis alles zerstört, alle Fenster und alles.

Was war mit der Polizei, die an den drei vorhergegangenen Tagen zu den Angriffen in der Albert-Schweizer-Straße gerufen wurde?

Die Polizei war dort, aber sie hatte nicht geglaubt, dass die Angreifer auch zur Thomas-Müntzer-Straße kommen würden. Das Motiv der Skinheads war: »Die schwarzen Leute sind hier, nehmen uns die Arbeit weg« und so weiter. Deshalb dachte die Polizei, es geht um die Vertragsarbeiter, die dort sind. Aber die Flüchtlinge haben ja keine Arbeit, also dachten sie vielleicht nicht, dass sie zu uns kommen würden. Deshalb nahmen die Polizei keine Sicherheits-maßnahmen vor. Danach, auch mit der Verstärkung von Einheiten der umliegenden Orte, konnte die Polizei die Angriffe nicht unter Kontrolle bringen. Drei Tage lang haben die Angriffe in der Thomas-Müntzer-Straße angedauert. Freitag, Samstag, Sonntag. Nachts waren es nicht so viele Leute, etwas über dreißig, aber am Samstagmorgen, als sie sahen, dass sie Erfolg hatten, kamen ganz viele: Nazis aus ganz Ostdeutschland, aus Dresden und überall her. Es waren hunderte. In dem Moment rief die Polizei Verstärkung. Es kamen Hubschrauber aus Westdeutschland mit Polizeieinheiten. Alle 15 Minuten landete einer und setzte eine Menge Polizisten ab. Die Polizei umstellte das Haus Samstagnacht und am Sonntag.

Am Montagmorgen kamen Beamte von der Behörde, die für den Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen zuständig war, zu uns. Sie sagten, dass Hoyerswerda nicht sicher für uns sei und dass sie uns von dort weg an einen sicheren Ort bringen würden. Wir sagten, wir würden Hoyerswerda unter einer Bedingung verlassen: Sie sollten uns in einem Ort in Westdeutschland unterbringen, andernfalls würden wir in Hoyerswerda bleiben und dort sterben. Wir versuchten herauszufinden, wohin sie uns bringen würden, aber sie sagten, der Ort sei geheim, denn sie wollten nicht, dass die Skinheads das Ziel herausfänden und uns dort wieder attackierten. Wir aber wollten nach Westdeutschland, weil wir uns nur dort sicher glaubten. Wir diskutierten von acht Uhr morgens bis weit in den Nachmittag, aber es gab keine Einigung. Sie wollten uns das Ziel nicht nennen, aber wir wussten mittlerweile, dass es sich um einen Ort in Ostdeutschland handeln müsste, denn unsere Sozialarbeiterin hatte uns gesagt, dass wir in eine Flüchtlingsunterkunft aufs Land geschickt werden sollten. Wir waren als Ausländer in der Stadt schon nicht sicher. Aber außerhalb der Stadt würden sie kommen und uns töten. Also mussten wir dagegen ankämpfen. Wir sagten, dass wir entweder in Hoyerswerda bleiben oder nach Schwalbach bei Frankfurt zurückkehren wollen würden. Sie hatten mittlerweile Busse organisiert. Dann sagten sie, entweder wir wären kompromissbereit und stiegen in den Bus, oder sie müssten die Polizei, die auch schon müde sei, aus Hoyerswerda abziehen. Wenn die Skinheads dann kämen, gäbe es niemanden mehr auf unserer Seite. Wir hatten keine Chance. Sie gaben uns eine Stunde, um unsere Sachen zu packen. Alle waren sehr enttäuscht. Wir wussten nicht, wohin sie uns bringen würden. Sie setzten uns nach Nationalitätszugehörigkeit entsprechend in die Busse. Nur die Fahrer erhielten Instruktionen. Die Busse wurden von zwei Polizeimotorrädern vorne und einem Polizeibus hinten eskortiert.

Wie war die Situation, als Ihr in die Busse gestiegen seid? Waren Leute aus Hoyerswerda anwesend?

Ja, sehr viele. Sie grölten und klatschten.

Waren das normale Leute, die dort standen, oder nur Nazis?

Zu dem Zeitpunkt, als wir fuhren, waren keine Nazis da, nur Bewohner von Hoyerswerda. Männer, Frauen, Kinder. Der ganze Platz war voller Leute, als wir in die Busse stiegen. Der ganze Platz. Die Bewohner waren glücklich. Es gab auch ein paar, die sich nicht freuten. Aber die große Mehrheit freute sich, als sie sahen, dass wir in den Bussen weggebracht wurden.

Dann fuhrt Ihr los.

Wir wurden nach Meißen gefahren. Es gab schon ein paar Vietnamesen, die dort waren. Wir dachten an das, was die Sozialarbeiterin gesagt hatte: Dass der Ort nicht sicher für uns sei. Also beschlossen wir, nicht aus dem Bus auszusteigen. Wir weigerten uns. Schließlich gingen die Fahrer und auch die Polizei fuhr weg. Wir schliefen im Bus. Am nächsten Morgen gingen die Angolaner weg, wir wussten nicht wohin, sie gingen einfach davon. Wir Ghanaer überlegten, nach Schwalbach zurückzufahren. Das Problem war, dass einige von uns kein Geld hatten. Wie sollten wir nach Schwalbach kommen? Also schmiedeten wir einen Plan. Wir würden uns bei der Sozialstelle melden und sobald wir am Ende des Monats das Geld empfangen würden, würden wir davonlaufen und nach Schwalbach zurückkehren. Ich sprach also mit den Sozialarbeitern und sagte, dass wir uns entschieden hätten zu bleiben.

Zu unserem Glück kam dann eine Gruppe aus Berlin, die wir gar nicht kannten, zu uns nach Meißen. Sie hatten über die Angolaner heraus-gefunden, wo wir hingebracht worden waren. Dann kamen sie, um uns zu treffen und sich mit uns zusammenzusetzen. Wir erzählten ihnen unsere Geschichte, was passiert war. Sie erklärten, dass sie uns helfen wollten, aber nicht viel Macht hätten. Sie boten uns an, mit ihnen nach Berlin zu kommen. Sie wollten uns helfen, in Berlin für unsere Legalisierung zu kämpfen. Sie könnten uns nichts versprechen, aber sie würden ihr Bestes tun. Innerhalb unserer Gruppe gab es Uneinigkeit – einige wollten nach Schwalbach, andere, darunter ich, waren für Berlin. Wir fuhren dann heimlich und unauffällig ohne unser Gepäck mit dem Zug über Dresden nach Berlin-Lichtenberg. Als wir ankamen, waren Leute da, organisierte Leute, die uns empfingen und unsere Sachen hatten. Sie fuhren mit uns nach Neukölln, wo wir übernachten konnten. Sie machten Essen für uns und Frühstück am nächsten Tag. Dann mussten wir überlegen, was als nächstes zu tun sei. Sie schlugen vor, als erstes Kirchenasyl zu beantragen, denn wir waren ja nicht legal in Berlin und konnten jederzeit von der Polizei aufgegriffen und nach Meißen gebracht werden.

In Berlin trafen wir auch wieder auf die Angolaner, die dort Asyl beantragt hatten. Wir waren 23 Ghanaer und 10 Angolaner, 33 insgesamt, die nach Berlin gekommen waren, um für ihre Legalisierung zu kämpfen. Aber es war nicht einfach. Wir mussten einen ganzen Monat kämpfen, um in Berlin bleiben zu dürfen. Unsere Unterstützer waren wirklich schlau und sie bestärkten uns zu kämpfen. Sie gaben uns alle nötigen Informationen. Der erste Schritt war, Kirchenasyl zu beantragen. Denn wenn du einmal unter dem Schutzschirm der Kirche stehst, kann kein Polizist dich aus Berlin rausbringen. Sie kontaktierten noch am gleichen Tag verschiedene Kirchen für uns. Wir gingen ins Café Grenzenlos in der Oranienburger Straße, wohin sie einige Kirchenvorsteher einluden. Sie kamen, aber die waren nicht glücklich über unseren Kirchenasylantrag. Wir mussten es argumentativ durchkämpfen. Aufgrund meines religiösen Hintergrunds kannte ich die Bibel sehr genau. So konnte ich mit der christlichen Lehre argumentieren. Ich appellierte an die Kirche, ihre Aufgabe wahrzunehmen, den Menschen zu helfen. Aber es dauerte den ganzen Tag. Sie gewährten uns eine Woche Kirchenasyl und verteilten uns auf verschiedene Kirchen. Sie waren ganz schön schlau, denn so wollten sie uns spalten. Sie sagten zum Beispiel, dass unsere Unterstützer keine guten Menschen seien und wir uns nicht an sie halten sollten. Und dass wir besser zurück nach Meißen gehen sollten, weil uns sonst die Polizei holen und zurück nach Ghana schicken würde.

Wir erreichten, dass ein Treffen mit dem Innensenator, Dieter Heckelmann, dem Kirchenvorsteher, unseren Unterstützern und mir als Sprecher unserer Gruppe vereinbart wurde. Das war sozusagen die Stunde der Entscheidung. Die Diskussion dauerte viele Stunden. Heckelmann sagte schließlich, dass nur diejenigen Leute in Berlin bleiben könnten, die ihren Asylantrag dort gestellt hätten. Aber wir anderen, die ihren Asylantrag in Schwalbach gestellt hatten, sollten zurück nach Schwalbach gehen. Ich war so enttäuscht, aber unsere Unterstützer ermutigten uns, nichtsdestotrotz weiterzukämpfen. Der Plan war, dass auch diejenigen, die vom Senator in Berlin angenommen worden waren, das Angebot nur unter der Bedingung annehmen sollten, wenn alle in Berlin legalisiert würden. So konnten wir erneut in Verhandlungen treten. Wir kamen außerdem zu dem Entschluss, dass wir an einem Ort wohnen wollten. Unsere Unterstützer schlugen einen Ort in Zehlendorf vor. Es dauerte drei Tage, bis wir erreicht hatten, dass sie uns dort unterbrachten. Das war die Gegend, in der auch der Oberbürgermeister von Berlin lebte. Die Anwohner beschwerten sich und hatten Angst, dass die Nazis wegen uns jetzt nach Zehlendorf kommen würden. Sie übten Druck auf den Senator aus. Einen ganzen Monat lang bekam der Senator jeden Tag Anrufe. An einem Tag gingen die Anwohner dann zu seinem Büro und forderten: »Entweder ihr bringt die Leute weg von hier, oder es wird dir nicht gut ergehen.« Der Senator stand unter großem Druck und so sagte er eines Tages: »Gebt mir die Namen von diesen Leuten und ich werde sie alle unter das Kontingent von Berlin stellen« und alle erhielten eine Duldung. Dann verteilten sie uns auf verschiedene Flüchtlingsheime in Berlin.

Wann war das?

Das war im September. Insgesamt hatte der ganze Prozess – von Hoyerswerda bis Meißen nach Berlin, bis zu unserer Duldung – zwei Monate gedauert. Aber damit hörte es nicht auf. Unsere Unterstützer waren weiterhin für die Legalisierung anderer Flüchtlinge in Berlin aktiv. Das war nicht einfach.

Danach hast Du in Berlin gelebt?

Ja, ich blieb in Berlin, bis ich meine Aufenthaltserlaubnis bekam. Es ist nicht erlaubt zu arbeiten, bis das Arbeitsamt dir einen Job besorgt. Alle drei Monate gehst du zum Arbeitsamt und fragst, ob sie einen Job für dich haben. Andernfalls gehst du zum Sozialamt, um deine Sozialleistungen zu beziehen. Im August 1993 bekam ich meine Aufenthaltserlaubnis, sodass ich in Deutschland studieren, arbeiten oder tun konnte, was immer ich wollte.

Hoyerswerda 1991 gilt als das erste Pogrom gegen Flüchtlinge in Deutschland nach der Wende. Danach gab es häufig massive Attacken gegen Flüchtlingsheime in Ostdeutschland wie Rostock-Lichtenhagen und auch in Westdeutschland wie in Solingen, wo Menschen starben. Als Du in Berlin gelebt hast, hast Du bestimmt von diesen Angriffen erfahren?

Wir erfuhren von all diesen Angriffen. Auch von Rostock, wo das Flüchtlingsheim angezündet wurde. Zusammen mit der Unterstützergruppe fuhren wir nach Rostock, um dort zu demonstrieren. Es war eine sehr große Demonstration. Es gab eine ganze ghanaische Community, die nach Rostock fuhr und mit Trommeln und Kriegsgesängen an der Demo teilnahm. Wir demonstrierten auf die ghanaische Art. Einige der Bewohner von Rostock gefiel es und sie schlossen sich uns an.

Auch in Hoyerswerda gab es eine große Demonstration.

Stimmt. Das war am Sonntag, nachdem wir Hoyerswerda verlassen hatten. Es gab eine sehr große Demonstration von Leuten aus Berlin, die in ganz Hoyerswerda demonstrierten. Es waren tausende.

1993 wurde dann das Asylgesetz in Deutschland geändert. Damit wurden die rassistischen Angriffe unsichtbarer. In dieser Kontinuität steht ja auch die Mord- und Anschlagserie des NSU. Letztes Jahr haben wir Dich zu unserer Veranstaltungsreihe in die Keupstraße eingeladen, um uns über die Erfahrungen mit diesen rassistischen Anschlägen und auch dem behördlichen Rassismus auszutauschen. Was hat sich seit den frühen 1990er Jahren geändert?

Es hat sich nicht viel verändert. Ich kann mich erinnern, wie es war, als ich anschließend nach Frankfurt/Main kam, nach zehn Jahren in Berlin. In Berlin hatte ich niemals Rassismus erlebt, in der Gegend, wo ich lebte, in Schöneberg, Kreuzberg, Neukölln. Die Deutschen dort waren den Mix gewöhnt. Aber als ich nach Frankfurt kam, sah ich, dass die Atmosphäre anders war als in Berlin. Einen Nachmittag war ich in der U-Bahn-Station Hauptwache in Frankfurt. Ich ging hinein und dort waren zwei Security-Männer, die auf mich zukamen. Sie fragten mich: »Was machst du hier?« Da wurde ich sauer und sagte: »Warum kommen Leute wohl hierher?« Sie sagten: »Wir sehen dich schon eine ganze Weile hier herumstehen. Wir möchten wissen, was du hier tust. Zeig uns dein Ticket.«

Ich weigerte mich und wurde schließlich brutal verhaftet und mit Knüppeln zusammengeschlagen. Ich hatte überall Wunden. Als die Polizei kam, habe ich meine Aussage gemacht, aber anschließend wollten sie mir noch nicht einmal einen Krankenwagen rufen. Ich musste darauf bestehen. Danach kontaktierte ich eine Anwältin und brachte den Fall vor Gericht. Das Gericht tagte über eine Woche zu dem Fall, bis ein Urteil gefällt wurde. Sie urteilten, dass die Security-Leute Unrecht hatten, aber mir wurde zur Last gelegt, dass ich mein Ticket nicht vorgezeigt hatte. Also wurde der Prozess mit einem Vergleich beschlossen, so dass keine der beiden Seiten zahlen musste. Das Gericht übernahm die gesamten Kosten. Meine Anwältin wollte in Revision gehen, aber ich lehnte ab. Ich wollte es dort abbrechen.

Gerade Frankfurt ist ja bekannt für rassistische Kontrollen, wenn man zum Beispiel an die Skandale über das sogenannte racial profiling der letzten Jahre denkt …

Das war der Grund, warum ich letztlich Frankfurt verließ. Mir war klar geworden, dass Frankfurt auch kein sicherer Ort zum Leben ist. Überall wo man hingeht, ist Sicherheitspersonal, es werden einem dumme Fragen gestellt. Dann zog ich mit meiner Familie in ein kleines Dorf bei Darmstadt. Außer uns lebten dort aber nur Weiße. Besonders für meine Frau, die zu dieser Zeit keine Arbeit hatte und deshalb viel zu Hause war, war die Situation schwierig, da wir keinen Kontakt zu den Menschen dort bekamen. Deshalb zogen wir dann nach Darmstadt, wo wir seitdem leben. Manchmal fahre ich nach Frankfurt zu einem großen afrikanischen Geschäft, wo wir ghanaische Produkte kaufen. Als wir einmal dort waren, hat mein Sohn mich gefragt, warum wir denn nicht in Frankfurt leben würden Ich sagte, nein, ich habe in Frankfurt gelebt und habe es aus gutem Grund verlassen. Ich habe ihm davon erzählte, warum ich mich entschieden habe, wegzuziehen.

Du bist später noch einmal nach Hoyerswerda gefahren. Was hast Du dort erlebt?

Das war, als Hoyerswerda zehn Jahre lang her war. Eine Unterstützerin von damals, die als erste zu uns nach Meißen kam und uns später in Berlin in unserem Kampf maßgeblich unterstützt hatte, lud mich ein, mit dorthin zu fahren und Interviews mit den Bewohnern von Hoyerswerda zu führen. Wir fuhren also hin, gingen in die Thomas-Müntzer-Straße und sprachen dort mit den Leuten. Viele von damals lebten aber schon nicht mehr dort. Viele waren noch sehr jung, als die Ereignisse geschahen, andere wussten nur aus Erzählungen davon. Später trafen wir den Bürgermeister von Hoyerswerda, Horst-Dieter Brähmig. Er war wirklich sehr nett zu uns. Er lud mich und meine Familie wieder nach Hoyerswerda ein. Als ich mit meiner Frau und meinem Sohn, der damals noch ein Baby war, hinfuhr, entschuldigte er sich offiziell bei uns für das, was passiert war. Er ist mir ein richtiger Freund geworden.

Aber 2011 seid Ihr doch noch einmal nach Hoyerswerda gefahren, zusammen mit UnterstützerInnen und Manuel Alexandre Nhacutou, einem ehemaligen mosambikanischen Vertragsarbeiter. Wie war da die Situation? In den Filmaufnahmen von Julia Oelkers und Lars Maibaum sieht man, dass Ihr wieder attackiert worden seid.

Das war in der Albert-Schweizer-Straße. Wir waren eingeladen, uns anzuschauen, wie das ehemalige Wohnhaus der Vertragsarbeiter heute aus- sieht. Als wir dort ankamen, trafen wir auf eine Gruppe von Leuten unter einem Baum, die sagten: »Seht euch das an, eine Gruppe schwarzer Leute. Sie kommen wieder zurück. Schaut euch das an, vor so vielen Jahren sind sie gegangen und jetzt kommen sie zurück.« Jemand holte Bananen und rief: »Hier, Bananen für euch.« Unser Kameramann filmte die Szene, aber die Leute sagten: »Hört auf zu filmen.« Sie wollten uns sogar angreifen. Wir riefen die Polizei. Und das war seltsam, denn selbst in Anwesenheit der Polizei waren wir nicht sicher. Die Polizei kam und sagte: »Wir helfen euch, sobald ihr aufhört zu filmen. « Der Kameramann erwiderte: »Was bedeutet es denn, wenn ich filme? Diese Leute wollen uns angreifen und deswegen haben wir euch gerufen. Das ist euer Job. Ich mache meinen Job.« Und sie antworteten: »Nein, entweder ihr stellt die Kamera ab oder wir gehen wieder.« Es gab eine heftige Auseinandersetzung mit der Polizei. Obwohl diese Leute uns angreifen wollten, war die Polizei nur damit beschäftigt, den Kameramann vom Filmen abzuhalten. Sie kümmerten sich überhaupt nicht darum, was diese Leute taten. Also riefen wir einen anderen Polizeiwagen, der dann eintraf und half.

Emmanuel Gärtner, Manuel Nhacutou und Emmanuel Adu Agyeman (v.l.n.r.) vor dem ehemaligen Vertragsarbeiterwohnheim in der Albert-Schweitzer-Straße im Jahr 2011 (Bild: Julia Oelkers)

Vor kurzem wurde ein neues Flüchtlingsheim in Hoyerswerda eröffnet, das erste seit den Vorfällen 1991. Hast Du davon gehört?

Nein, davon habe ich noch nicht gehört. Ich würde gern hinfahren und den Ort besuchen. Nachdem wir 1991 weg waren, gab es nur einen einzigen Mosambikaner in Hoyerswerda, der mit einer Deutschen verheiratet war und ein kleines Geschäft dort hatte. Aber er hatte viele Probleme und Auseinandersetzungen, außerdem lief das Geschäft nicht gut, so dass er mit seiner Frau in eine andere Stadt zog. Danach gab es keinen einzigen Schwarzen mehr in Hoyerswerda.

2004 fand der Anschlag auf die Keupstraße statt, wo Nazis versuchten, mit einer Nagelbombe möglichst viele Menschen zu töten. Wir hatten Dich letztes Jahr zu einer Veranstaltung auf der Keupstraße eingeladen, wo Du eines der Opfer dieses Anschlags kennengelernt hast. Was hast Du gedacht, als du seine Geschichte gehört hast?

Als dieser Mann seine Geschichte erzählte, hatte ich das Gefühl, dass die Ausländer keine Chance haben. Warum sollte die Polizei für die Ausländer Partei ergreifen? Denn man kann sich die Situation gut vorstellen: Es war offensichtlich, dass diese Bombe von Nazis, von Deutschen, gelegt worden war. Aber davon wollten sie nichts wissen. Das war genauso, als ich vor Gericht stand wegen des Vorfalls in Frankfurt: Sie verteidigten die Security-Männer, denn sie wollten nicht zugeben, dass der Ausländer im Recht war. Also fanden sie etwas, um die Situation so zu drehen, dass es die Schuld des Ausländers gewesen sei. Das habe ich auch in der Situation in der Keupstraße gesehen. Sie wollten nicht, dass die Öffentlichkeit dachte, dass Deutsche kriminell seien. Also schoben sie alles den Ausländern unter: »Sie waren es!« Ich hatte das Gefühl, dass ich ein Opfer des gleichen Prinzips geworden war: Sie wollten mir nicht glauben. Aber ich sagte die Wahrheit. Ich forderte das Gericht sogar auf, die Kameras, die in jeder U-Bahn-Station hängen, zu überprüfen. Aber sie wollten es nicht tun, denn dann hätten sie herausgefunden, dass die Security-Männer gelogen hatten. Also überprüften sie die Kameras einfach nicht.

Das gleiche ist in der Keupstraße passiert: Sie glaubten den Ausländern einfach nicht, weil sie Ausländer sind. Weil es das Bild der Deutschen ankratzt.

Denkst Du, dass es wichtig ist, über die Erfahrung mit Rassismus zu sprechen? Und war es für Dich schwierig, darüber zu reden?

Es kommt darauf an, wie die Person sich fühlt. Manche Leute regt es emotional sehr auf, sich an diese Ereignisse zu erinnern. Denn das Reden lässt die Erinnerung daran hochkommen, wie einem sein Recht verweigert wurde und es mit Füßen getreten wurde. Viele sagen: »Was passiert ist, ist passiert.« Aber manche möchten ihre Erfahrungen teilen und andere wissen lassen, dass sie Recht hatten und ihnen ihr Recht verweigert wurde. Ich denke, es ist wichtig, den Leuten dies zu erzählen und es öffentlich zu machen, was passiert ist und wie sehr es uns unter die Haut gegangen ist.

Deine Geschichte ist auch eine Geschichte von Stärke und von Solidarität. Ihr habt euch nicht spalten lassen in diesem besonderen historischen Moment und habt auf diese Weise geschafft, Eure Rechte durchzusetzen. Ihr habt die Situation, in der Ihr angegriffen wurdet, in eine Situation gewendet, in der Ihr immer Euren Weg durchgesetzt habt: Ihr habt euch geweigert, den Bus zu verlassen, Ihr habt Euch geweigert, im Osten zu bleiben, habt Euch gegen die Widerstände von Kirche und Politik durchgesetzt und sie in einen Erfolg verwandelt.

Richtig. Es war jedes Mal ein großer Kampf. Und du musst dich viel streiten. Du musst ihnen zu verstehen geben, dass du wirklich hinter dem stehst, was du sagst. Dass du weißt, was du sagst. Wir kämpften gemeinsam mit Leuten, die uns unterstützt haben. Das war wichtig. Sie sagten uns: »Gebt nicht auf! Ihr könnt weiterkämpfen!« Und dann musst du ein wenig eigenes Selbstbewusstsein aufbringen, um dir zu sagen: »Du kannst es schaffen!«

Gibt es noch etwas, das du hinzufügen möchtest?

Ich bin allen dankbar, die uns geholfen haben bei unserer Legalisierung in Berlin, so dass ich heute mit meiner Familie hier leben kann. Ich bedanke mich auch für diese Einladung.

 

Quellen:

Dostluk Sineması (Hrsg.) (2014): „Es war jedes Mal ein großer Kampf“ – Interview mit Emmanuel Adu Agyeman, 23. Feburuar 2014. In: Vom Mauerbau bis zur Nagelbombe – Der NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße im Kontext der Pogrome und Anschläge der neunziger Jahre, S. 47-55.

Lierke, Lydia / Perinelli, Massimo (Hrsg.) (2020): Hoyerswerda und die Geburt des Antirassismus – Interview mit Emmanuel Adu Agyeman - Dostluk Sineması. In: Erinnern stören – Der Mauerfall aus migrantischer und jüdischer Perspektive. Verbrecher Verlag, Berlin.

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