Noch während die Angriffe in Hoyerswerda andauerten, wurde von Berlin aus eine erste antirassistische Demonstration zum Schutz der MigrantInnen organisiert. Bei einer zweiten linken Großdemonstration wenige Tage später kam es auch zu Gewalt und Auseinandersetzungen mit der Polizei. Einige Menschen aus Hoyerswerda gründeten in Reaktion auf das rassistische Pogrom eine Bürgerinitiative, die u.a. zu einer Lichterkettenaktion aufrief. In der Folgezeit waren alternative Jugendclubs verstärkt mit rechtem Terror konfrontiert.

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Demonstration „Gegen Rassimus und Naziterror“

Wenige Tage nach den rassistischen Angriffen organisierten linke und antirassistische Gruppen aus Berlin eine Demonstration in Hoyerswerda.

Rechter Terror

Nach dem rassistischen Pogrom und der Vertreibung der MigrantInnen richtete sich der rechte Terror gegen progressive und linke Jugendclubs und Einrichtungen in Hoyerswerda.

Hintergrund

Demonstration "Gegen Rassismus und Naziterror"

Am 29.09.1991, wenige Tage nach dem rassistischen Pogrom, fand in Hoyerswerda eine große antifaschistische Demonstration "gegen Rassismus und Naziterror" statt, an der sich etwa 3000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet beteiligten. Bereits eine Woche vorher, als die Angriffe ihren Höhepunkt erreicht hatten, waren etwa 350 Personen dem Aufruf zu einem Autokonvoi in die Stadt gefolgt, um die Betroffenen vor Ort zu unterstützen. Beide Interventionen wurden maßgeblich von antirassistischen und linksradikalen Gruppen aus Berlin initiiert und unterstützt. Gewalttätige Auseinandersetzungen am Rande der Veranstaltungen führten im Nachgang sowohl in Hoyerswerda, als auch innerhalb der linken Szene, zu erbitterten Diskussionen über die Ausrichtung und den Charakter derartiger Mobilisierungen.

Erster Unterstützungskonvoi aus Berlin

Nachdem sich in Hoyerswerda kaum praktischer Protest gegen die anhaltenden Angriffe auf die MigrantenInnen artikuliert hatte und stattdessen die Gewalt mit der Belagerung einer zweiten Wohnunterkunft weiter anhielt, riefen Mitglieder der Bundestagsfraktion von „Bündnis 90/Grüne“, „SOS Rassismus“, die „Liga für Menschenrechte“ und andere zivilgesellschaftliche und antirassistische Gruppen aus Berlin zu einen Autokonvoi nach Hoyerswerda auf.

An der gemeinsamen Anreise am 22.09.1991 beteiligen sich rund 350 Personen, von denen etwa 100 durch die Polizei als gewaltbereit eingeschätzt wurden. Drei Einsatzhundertschaften und zusätzliche Kräfte des Bundesgrenzschutzes waren abgestellt, um die vor dem Wohnheim für Asylsuchende in der Thomas-Müntzer Straße geplante Veranstaltung abzusichern und eine Konfrontation mit den nach wie vor agierenden Neonazis zu verhindern. Als die am Konvoi Teilnehmenden den Zielort erreicht hatten, versperrten Polizeikräfte ihnen den direkten Zugang zur Unterkunft. Laut einer Presseerklärung beteiligter Gruppen wurde nach Verhandlungen lediglich einer kleinen Delegation der Demonstrierenden der Zutritt zum Gebäude gestattet, um Gespräche mit den BewohnerInnen zu führen.

Auch eine angemeldete und genehmigte Kundgebung vor dem Heim konnte nicht wie geplant stattfinden, da die Situation durch das Auftreten zahlreicher provozierender Neonazis und Schaulustiger zunehmend eskalierte. Bei den darauffolgenden Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und PassantInnen kam es unter anderem zu einem Messerangriff auf zwei Rechtsradikale, bei dem eine Person schwere Verletzungen erlitt. Erst gegen 21 Uhr erfolgte die Räumung der Thomas-Müntzer-Straße durch die Polizei und die Lage beruhigte sich.

Antifaschistische Demonstration in Hoyerswerda

Die teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen Personen des Unterstützungskonvois und örtlichen Neonazis vom 22.09.1991 zeigten, welches Eskalationspotential die Geschehnisse in Hoyerswerda in Teilen der linken Szene freisetzten. Die Erfahrung, einem enthemmten und gewalttätigen Mob ausländerfeindlicher EinwohnerInnen gegenüber zustehen, ohne dass die Polizei für einen ausreichenden Schutz der Angegriffenen sorgte, war neu. In dieser Situation sahen sich einige Protagonisten legitimiert, nicht nur die Betroffenen und sich selbst zu verteidigen, sondern gegebenenfalls auch (potenzielle) TäterInnen anzugreifen und Zuschauenden deutlich zu machen, dass ihr (Nicht- )Handeln, trotz des Ausbleibens staatlicher Sanktionen, unangenehme Konsequenzen haben konnte.

Demonstrationsaufruf 29.09.1991

Der Aufruf zur antifaschistischen Demonstration, die eine Woche später, am 29.09.1991, in Hoyerswerda ausgerichtet und von 3000 Menschen besucht wurde, enthielt Passagen, die auf diesen Umstand Bezug nahmen: „Nun, nachdem die AusländerInnen aus der Stadt vertrieben sind, glauben die BürgerInnen aus Hoyerswerda wieder in Ruhe und Ordnung zur Tagesordnung zurückkehren zu können. Aber genau das müssen wir verhindern. (…) Hoyerswerda darf nicht zum Musterbeispiel rechter ,Säuberungsaktionen‘ werden. Wenn wir dem nichts entgegensetzen, wird es zu immer mehr ähnlichen (…) Angriffen auch in anderen Städten kommen. (…) Die Demonstration am kommenden Sonntag (…) soll zu einem Signal werden, daß wir uns dem zunehmenden Rassismus entgegenstellen.“

Obwohl die angespannte Stimmung und die erwartbar hohe TeilnehmerInnenzahl schon im Vorfeld der Demonstration absehbar war, beharrte das Einsatzkonzept der Polizei an diesem Tag auf einer „Null-Toleranz“-Schiene. Als der Protestmarsch am frühen Nachmittag den genehmigten Startpunkt vor dem Wohnheim auf der Thomas-Müntzer-Straße erreicht hatte, wurde der Zugang durch Einsatzzüge des Bundesgrenzschutzes abgesperrt. Ein regulärer Beginn der Demonstration sollte nur dann ermöglicht werden, falls alle Teilnehmenden auf Vermummung verzichteten.

Nachdem Verhandlungen zwischen den Veranstaltenden und der Einsatzleitung erfolglos blieben, begannen die ersten Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizeikräften, die auch Wasserwerfer einsetzten. Aufgrund eines Appells aus dem Lautsprecherwagen, der dazu aufrief, die Lage zu beruhigen und einen friedlichen Verlauf der weiteren Veranstaltung zu gewährleisten, kam es auch innerhalb des Marsches zu teils gewalttätigen Konflikten. Ein Versuch der Menschenmenge, die Polizeisperre geschlossen zu umgehen, scheiterte und führte zu weiteren Ausschreitungen. Der Anmelder erklärte die Demonstration daraufhin für aufgelöst.

Ein Großteil der Teilnehmenden war jedoch nicht gewillt, den Ort zu verlassen und wollte die Demonstration durchsetzen. Daraufhin folgten weitere Verhandlungen mit dem Bundesgrenzschutz und dem Einsatzleiter der sächsischen Landespolizei im Beisein der Presse. Letztlich konnte die Demonstration doch wie geplant stattfinden. Währenddessen solidarisierten sich auch einige Dutzend junger Menschen aus Hoyerswerda mit den Protestierenden und liefen gemeinsam mit einigen örtlichen Pfarrern an der Spitze des Zuges. Dieser Umstand stieß wiederum auf Kritik innerhalb der Demonstration, wodurch die Stimmung insgesamt angespannt blieb. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurden erkennbar rechte Personen weiterhin angegriffen und zahlreiche Autos beschädigt. Der Zug endete auf der Dr.-Wilhelm-Külz-Straße in unmittelbarer Nähe des angegriffenen Vertragsarbeiterwohnheims. Hier kamen auch Betroffene des Pogroms aus Hoyerswerda in Redebeiträgen zu Wort.

Reaktionen innerhalb der Linken

Die körperlichen Auseinandersetzungen zwischen einigen Demonstrierenden spiegelten die schon während ihrer Vorbereitungsphase strittigen Konzepte einer linksradikalen Praxis im Umgang mit den aufflammenden rechten Massenmobilisierungen in der neuen Bundesrepublik wieder. In Reaktion auf die Geschehnisse entstanden zahlreiche Verlautbarungen, die in Szeneblättern, wie der Berliner Zeitschrift Interim, veröffentlicht wurden und die sehr emotional geführte Debatte nachzeichnen.

Die unterschiedlichen Standpunkte reichten dabei von Positionen, die sich klar von einem aggressiven Auftreten nach außen abgrenzten und das militante Vorgehen einzelner Beteiligter mit dem Agieren der Neonazis verglichen, bis hin zu Stellungnahmen, die dies mit den Worten, „Wenn die Polizei nix tut, (...) tun wir etwas" und "wer Gewalt will, soll sie haben“, vehement verteidigten.

In einem „Papier der Demo-Vorbereitungsgruppe“ wurde daraufhin die ursprüngliche Konzeption der Demonstration offen gelegt und wie folgt formuliert: „Angriff und Zuschlagen, wenn Nazis auftauchen (…), Einschüchterung derjenigen, die mit den Naziangriffen sympathisiert und ihnen geholfen haben. Kritik der ,schweigenden Mehrheit‘, die mit ihrer Gleichgültigkeit das Feld den Nazis überlassen hat. Und schließlich Ermutigung derer, die über die Angriffe entsetzt waren, die aber aufgrund von Angst und mangelnden Organisationsansätzen bisher nicht in der Lage waren, sich zu artikulieren und den Nazis etwas entgegenzusetzen.“

Als hauptsächliche Gründe für die Entwicklung am Demonstrationstag nannten die VerfasserInnen die Polizeisperren zu Beginn des Marsches, die vorschnelle Eskalation der Lage von Seiten einiger TeilnehmerInnen und die Unfähigkeit der Leitung adäquat auf diese Situation zu regieren. Gegenüber der Kritik an der Beteiligung von Einheimischen schrieben sie: „Die mitdemonstrierenden Leute aus Hoyerswerda brachten eine neue Dynamik in die Demo (…,) eine mutige Sache war es, sich dort in den ersten Reihen zu zeigen. (...) Zu unserer Wut kam nun die Wahrnehmung konkreter Brüche in der Bevölkerung von Hoyerswerda.“

Der Erklärung folgten weitere Entgegnungen, die sich darum bemühten, grundlegendere Versäumnisse und Probleme anzusprechen. In einem Statement hieß es etwa: „Einige Leute wollten als ,Strafexpedition‘ nach Hoyerswerda fahren (…). Ihr Konzept: (Fast) alle dort angreifen, (fast) alle einschüchtern, als abschreckendes Beispiel für andere Städte.“ Aus diesem Grund sei es von vorn herein ein Fehler gewesen, „eine Demonstration mit zwei sich ausschließenden Zielrichtungen organisiert zu haben, ohne im Vorfeld einen notwendigen Minimalkonsens herzustellen.“

Die migrantische Perspektive

Auch die damals sehr aktive Berliner Gruppe Antifascist Gençlik („Antifaschistische Jugend“) zog in der Interim vom 17.10.1991 ein kritisches Fazit und bemängelte u.a.: „Die Demo hat sich an keinem Punkt an die wirklich Verantwortlichen gerichtet, wir sind weder an der Ausländerbehörde, an der Bullenwache noch am Rathaus vorbeigelaufen. Wenn wir an diesem Punkt, an dem wir jetzt sind, stehenbleiben, dann war diese Demonstration nicht mehr als eine wandelnde Mahnwache an die Bevölkerung. (…) Durch die Demo sollten politische Strukturen geschaffen werden. Doch war dies leider einen Schritt zu spät, die Pogrome hatten bereits stattgefunden, die meisten AusländerInnen waren zum Zeitpunkt der Demo bereits weggekarrt worden. Der Kontakt zur Bevölkerung kann (…) nur über eine kontinuierliche Organisierung und Schaffung von Strukturen“ aufgebaut werden. „Wir haben Verantwortung für diejenigen, die auf der Demo offen Position bezogen haben, übernommen.“

Mit Blick auf die Erfahrungen aus Hoyerswerda, die damit zusammenhängende Militanzdebatte und sich bereits abzeichnende Brüche innerhalb der deutschen Linken sprach sie auch einen Umstand an, der für die nachfolgenden Entwicklungen bestimmend blieb: „Fakt ist das unterschiedliche Betroffen sein von ausländischen und deutschen Menschen – während AusländerInnen auf offener Straße angegriffen, ihre Wohnheime überfallen und angezündet werden (…), kann sich der Großteil der bundesdeutschen Linken (…) in scheinbarer Sicherheit wiegen.“

Reaktionen aus Hoyerswerda auf die Demonstration

Die Darstellung der Demonstration in der regionalen Presse fokussierte sich nahezu ausschließlich auf die Ausschreitungen und deren scharfe Verurteilung. Obwohl etwa in der Sächsischen Zeitung vom 30.09.1991 bereits ein differenzierter Artikel zu den Geschehnissen vom Tag erschienen war, in dem u.a. der Großteil der Teilnehmenden als „friedlich“ charakterisiert wurde, titelte der Lokalteil am Folgetag mit der Überschrift „250000 Mark Schaden – Bilanz eines Wochenendes“ und bemühte sich nicht nur um eine minutiöse Aufzählung der entstandenen Sachbeschädigungen, sondern auch darum, „den ,moralischen Schaden‘ für unsere Stadt durch Schlagzeilen in den Agenturen“ herauszustellen. „Nur dem besonnen Verhalten der Bürger von Hoyerswerda und der Polizei“ sei es demnach „zu verdanken, daß nicht noch Schlimmeres passiert ist“. Der Text schloss mit der entlarvenden „Anmerkung der Redaktion“: „Über das Ausmaß der Schäden der rechtsradikalen Ausschreitungen liegen keine Informationen vor.“

Vereinzelt ließen sich in den lokalen Kommentarspalten neben einem Erschrecken über die erneute Gewalteskalation, dem Unmut über die zugereisten Demonstrierenden, der Hoffnung auf baldige Beruhigung der Lage vor Ort und Beschreibungen über die Mühen der Beseitigung von entstandenen Sachschäden auch kritische Worte zum Verhalten der Polizeikräfte finden.

Die Lausitzer Rundschau druckte in ihrer Ausgabe vom 01.10.1991 zudem eine „Stellungnahme von Spremberger Oberschülern“ zur Demonstration in Hoyerswerda ab, in der die „Gewalt durch (...) demomißbrauchende Kräfte und (...) das provokative Auftreten der Polizei und des Bundesgrenzschutzes“ verurteilt, sowie die einseitige Berichterstattung kritisiert wurde. Sie stellten in dem Schreiben die Frage: „Wo waren die ,Vertreter der deutschen Ordnung‘ in der vorherigen Woche, als sie zum Schutz der wirklich lebensbedrohten Asylanten gebraucht wurden? Und warum waren sie plötzlich da, um unsere Demonstration zu sabotieren und somit berechtigte Wut hervorzurufen, die sich später in vereinzelten Gewalttaten äußerte, was von der Mehrzahl der Demonstranten jedoch abgelehnt wurde.“

Davon, dass sich nicht nur die Teile der lokalen Medien im Kontext der Demonstration im Ton vergriffen hatten und tendenziös berichteten, zeugt eine Meldung der taz vom 05.09.1992. In ihr wird eine Klage des Versammlungsanmelders gegen die Dresdner Morgenpost thematisiert, die jenen in einem Artikel als den „Mann, der die Gewalt nach Hoyerswerda brachte“, bezeichnet hatte.

 

Quellen:

250000 Mark Schaden – Bilanz des Wochenendes. Sächsische Zeitung vom 02.10.1991.

Aufruf zur Demonstration am 29.09.1991 in Hoyerswerda: „Antifaschistische Demonstration in Hoyerswerda – Gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit“.

Ausländer bleiben – Faschisten vertreiben! – Erklärung von AntifaschistInnen aus dem Wedding, Kreuzberg und von Antifascist Gençlik. Interim vom 17.10.1991.

Auszüge aus Polizei- und Lageberichten vom 22.09./29.09.1991. Verfügbar unter: http://www.hoyerswerda.de/documente/Ausstellung_Herbst1991_Erdgeschoss.pdf (zuletzt aufgerufen am 10.01.2017).

Betonköpfe auf Rachefeldzug – Anmerkungen zur Hoyerswerda-Demo. Interim vom 03.10.1991.

Die Betonköpfe antworten zur Hetzkampagne in der Interim! Interim vom 17.10.1991.

Erklärung: Hoyerswerda – oder sind sie nicht willig, so brauch ich Gewalt. Interim vom 17.10.1991.

Hoyerswerda hat Rocco's Leben verändert: Nie wieder Skin. Bild-Zeitung vom 27.09.1991.

„Noch nie so eine gefährliche Demo erlebt“. taz vom 05.09.1992.

Papier der Demo-Vorbereitungsgruppe zur Demonstration am 29.09.1991. Interim vom 13.10.1991.

Polizei mit Molotow-Cocktails und Stahlkugeln beworfen. Lausitzer Rundschau vom 23.09.1991.

Presseerklärung der TeilnehmerInnen am Konvoi nach Hoyerswerda vom 22.09.1991. Interim vom 27.09.1991.

Resolution Spremberger Oberschüler zur Demonstration vom 23.09.1991. Lausitzer Rundschau vom 01.10.1991.

Stellungnahme von Spremberger Oberschülern zur Demonstration in Hoyerswerda. Lausitzer Rundschau vom 01.10.1991.

Vermummte nutzten Demonstration zur Randale. Sächsische Zeitung vom 30.09.1991.

Hintergrund

Reaktionen aus Hoyerswerda auf den September 1991

Bereits zu Beginn der immer weiter eskalierenden Angriffe auf die Unterkünfte der Vertragsarbeiter und Asylsuchenden hatte sich abgezeichnet, dass die lokalen Ordnungskräfte sowie politisch und gesellschaftlich Verantwortliche mit der Situation überfordert waren. Dementsprechend zeugen die unmittelbaren Reaktionen vor Ort auf die Geschehnisse vom Herbst 1991 nicht nur vom eigenen Erschrecken gegenüber den Vorfällen, einem damit einhergehenden Problembewusstsein oder der Anteilnahme in Richtung der Betroffenen rechtsradikaler Gewalt. Die Auseinandersetzung um Reaktionen und Folgen des Pogroms blieb stets auch eng mit der Sorge um das eigene Image, sowie der Abwehr von Rassismusvorwürfen und eines Generalverdachts „von außen“ verknüpft.

Erste öffentliche Reaktionen: Die Suche nach Ursachen zwischen Abwehr und Entschuldigung

Schon in der ersten gemeinsamen Pressemitteilung aller Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung, die eine Woche nach Beginn der Ausschreitungen herausgegeben worden war, wurde darauf verwiesen, dass „eine Mehrheit der Bürger“ die Angriffe ablehne, zumal diese das Werk „rechtsradikaler Gruppen“ seien. Dem folgte eine Rechtfertigung der stark kritisierten Evakuierung der Angegriffenen aus Hoyerswerda und die direkte Aufforderung an den Bund, dafür zu sorgen, dass sich solcherlei Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen könnten.

Zwar fand sich im Schluss des Schreibens auch ein Appell an die eigenen BürgerInnen zur Toleranz und einem friedvollen Umgang miteinander, gleichwohl wurde dieser mit einem entlastenden Verweis auf die schwierige soziale Situation der Bevölkerung verbunden. Auch in anderen Verlautbarungen der Lokalpolitik wurde vor allem auf die sozialen Probleme in der Region Bezug genommen. Darüber hinaus thematisierte der Ortsvereins der PDS in einer Pressemitteilung durchaus selbstkritisch die verfehlte Migrationspolitik der DDR als Mitursache.

Der CDU-Kreisvorstand forderte am 28.09.1991 zudem die Absetzung des amtierenden sächsischen Innenministers Rudolf Krause, der für die Gewalteskalation in der Stadt und dem sie bedingenden Personalnotstand bei der Polizei verantwortlich gemacht wurde. Trotz dieser Stoßrichtung der Debatte fanden sich auch differenziertere Stimmen. So konstatierte etwa Peter Blochwitz in einem Kommentar der Sächsischen Zeitung vom 26.09.1991 neben einer Aufzählungen zahlreicher Missstände, die schließlich zu dieser Eskalation geführt hätten: „obgleich hier nur eine Minderheit (…) agierte, es ist nur die Spitze des Eisbergs gewesen.“

Eine generelle Verurteilung der ausländerfeindlichen Gewalt erfolgte von allen Seiten und mit Nachdruck, doch nur vereinzelt gab es Statements, wie die des stellvertretenden CDU-Kreisvorsitzenden Peter Schowtka, der in einem Artikel der Rundschau für Nordsachsen vom 27.09.1991 das Empfinden seiner Scham über das, was den Betroffenen angetan wurde, in den Mittelpunkt stellte und jene öffentlich um Entschuldigung bat.

Verstärkte Jugendarbeit als Lösungsansatz

Wie Christoph Wowtscherk in seiner Studie ausführt, fand einen Monat nach den Angriffen eine Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung statt, die sich mit dem Thema der „Ausländerproblematik“ befasste. Der amtierende Bürgermeister Armin Ahrendt drückte dabei seine Sorge um das Image der Stadt aus, die er durch die „Sensationsberichterstattung“ in Verruf geraten sah. Obwohl den Beteiligten daran gelegen war, Hoyerswerda als eine für MigrantInnen offene Stadt zu gestalten, bat er das Land Sachsen um einen vorübergehenden Aufnahmestopp für Asylsuchende, damit die Geschehnisse vom Herbst aufgearbeitet werden könnten. Um eine nachträgliche Geste der Solidarisierung mit den Betroffenen auszusenden, die nach ihrem Abtransport aus der Stadt in einer Kirchengemeinde in Berlin untergekommen waren, riefen die Stadtverordneten zu einer Spendenaktion auf, bei der etwa 1000 D-Mark gesammelt wurden. Zudem begannen erste Anstrengungen, um die Lebensqualität von Jugendlichen in Hoyerswerda zu verbessern. Sowohl im Dezernat für Kultur, Bildung und Soziales, als auch im neugegründeten Jugendreferat der Stadt entstanden Pläne, die zur Erhaltung und Öffnung der bestehenden Jugendklubs und einer verstärkten Weiterbildung im Themenfeld der Arbeit mit MigrantInnen und Asylsuchenden beitragen sollten. Durch neu aufgelegte Förderprogramme des Bundes im Arbeitsfeld „Jugend und Gewalt“ bestand die Hoffnung mit diesen Schritten auch an finanzielle Hilfen für Projektvorhaben im Bereich der mobilen Jugendarbeit zu gelangen. Außerdem wurde eine Studie zur Analyse von jugendlichem Extremismus in Auftrag gegeben.

Die Beschränkung der Wahrnehmung auf die Perspektivlosigkeit unter den Jugendlichen vor Ort als Hauptursache für die vorangegangenen Entwicklungen und eine damit verbundene Ausblendung der politischen Dimension jener Vorgänge führte dazu, dass VertreterInnen der Stadt und Lokalpolitik auch den direkten Kontakt zu rechtsradikalen Gruppierungen in Hoyerswerda nicht scheuten. Die Beteiligten versprachen sich von einer solchen Begegnung auf „Augenhöhe“ das Ende der Gewalt. Nur wenige Monate später und nachdem mehrere solcher Treffen stattgefunden hatten, war jedoch abzusehen, dass dieser Weg der Akzeptanz nicht die gewünschten Resultate erzielte, sondern zur weiteren Legitimierung neonazistischer Tendenzen beitrug. Die Welle an Übergriffen riss nicht ab, stattdessen forderten die Jugendgruppen bald darauf unter Androhung weiterer Aktionen einen eigenen Club. Wowtscherk kritisiert diese Haltung der Verantwortlichen und führt aus: Im Nachgang „scheint es so, als ob die Skinheads Gewalttaten begingen, um damit den Verantwortlichen der Stadt Zugeständnisse abzupressen.“

Bemühen um Verständigung – Diskussionen und Aufarbeitung

Parallel zur beginnenden Arbeit in der örtlichen Verwaltung erfolgte das erste Angebot zur öffentlichen Debatte über die Ausschreitungen nicht von Seiten der Stadt. Stattdessen organisierte die Junge Union am 04.10.1991 eine Podiumsdiskussion mit Abgeordneten des Landtags und dem neuen Innenminister Heinz Eggert, an der sich etwa 100 BürgerInnen aus Hoyerswerda beteiligten. In einem Artikel der Sächsischen Zeitung zur Veranstaltung wurde Befremden darüber zum Ausdruck gebracht, dass sich keine VertreterInnen der Stadtverwaltung an ihr beteiligt hatten. Jedoch äußerte die Stellvertreterin des Landrates Petra Kockert, den Bürgern durchaus weitere „Diskussionsangebote“ machen zu wollen. In den darauffolgenden Wochen fanden daraufhin immer wieder Gesprächsrunden statt, an denen auch Akteure der Stadt, Polizei und Kirche teilnahmen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Sicherheitslage vor Ort jedoch kaum spührbar verbessert. Die anhaltenden sozialen Missstände und der beobachtbare Mangel an Bürgerbeteiligung führten in den Kommentaren der Lokalpresse zu einer gewissen Ernüchterung.

Um über die Stadtgrenzen hinaus ein deutliches Zeichen für ein gestiegenes Problembewusstsein und den Willen zur Veränderung zu setzen, veranstaltete die Konrad-Adenauer-Stiftung Anfang Dezember 1991 schließlich eine Fachtagung zum Thema Ausländerfeindlichkeit in Hoyerswerda. Wie aus Berichten der Lausitzer Rundschau hervorgeht, baten Landrat Wolfgang Schmitz und Bürgermeister Armin Ahrendt auch in diesem Rahmen noch einmal die Landes- und Bundespolitik um praktische Unterstützung.

Erste Ansätze zivilgesellschaftlichen Engagements und deren mediale Begleitung

Auch bei den ersten Aktionen, die sich dezidiert gegen die ausländerfeindliche Stimmung in Hoyerswerda und die Ausschreitungen im Besonderen richteten, handelte es sich um Interventionen von außen. Neben den antifaschistischen Demonstrationen am ersten Samstag nach Beginn der Angriffe und an dem darauf folgenden Wochenende fanden in den nachfolgenden Wochen zudem verschiedene Kunstaktionen im Rahmen der Veranstaltungswoche „Beton-ung“ des Jugendclubs „Laden“ statt. Jene wurden von teilnehmenden KünstlerInnen aus Berlin und anderen Städten initiiert und sollten sich direkt auf die Angriffe beziehen. In diesem Kontext wurden etwa mehrere große weiße Fahnen an verschiedenen Stellen in der Innenstadt aufgestellt.

Erste größere Impulse eines zivilgesellschaftlichen Engagements in Eigeninitiative gingen im November 1991 von einer Einladung des Stadtverordneten Wolfgang Reinheckel zur Gründung eines „Freundeskreises für Ausländer“ aus. In diesem zwei Seiten umfassenden Aufruf wurde bereits im ersten Absatz die Tatsache anerkannt, dass sich in Hoyerswerda etwas zugetragen hatte, das “für die Nachkriegszeit beispiellos in Deutschland“ war. Ebenso betonte der Text, dass es sich bei den TäterInnen um hiesige Jugendliche handelte, die „mit ihren Losungen und Tätlichkeiten weitere Bürger in ihren Bann“ gezogen hätten. Er forderte die EinwohnerInnen der Stadt auf, nicht die Augen davor zu verschließen, dass „wir auf eine multikulturelle Gesellschaft zusteuern“, der nicht mit Angst und Ablehnung begegnet werden sollte, sondern die ihrerseits das Potenzial für „wirtschaftliche, kulturelle und menschliche Vorteile“ in sich bürge.

Mit Hakenkreuzen beschmierte Unterschriftenliste

Laut Sächsischer Zeitung vom 14.11.1991 folgten dem Aufruf zunächst nur etwa 50 Personen, von denen sich die Hälfte der „Antifa und Umweltgruppen“ zurechnete. Zum Klima während des Treffens heißt es in dem Artikel: „Besonders unter den anwesenden Jugendlichen waren Angst und Unsicherheit weit verbreitet. Einige hatten schon Morddrohungen der rechten Szene erhalten (…).“ Die regionale Berichterstattung reagierte trotz der geringen Zahl an offenen UnterstützerInnen für die Initiative weitestgehend positiv und hoffnungsvoll, wohl auch, weil sie um eine Gegenpositionierung zu den überregionalen Medien und deren größtenteils negativen Sicht auf die Lage vor Ort, bemüht waren. Verschiedene Kommentare verurteilten in diesem Zusammenhang besonders eine zeitgleich erschienene Reportage der Süddeutschen Zeitung, die ausländerfeindliche O-Töne von EinwohnerInnen der Stadt enthielt.

Plakat: "Dem Hass keine Chance"

Um weitere BürgerInnen zur Mitarbeit in der Initiative zu bewegen, die fortan unter dem Motto „...Dem Haß keine Chance“ auftrat, wurden Unterschriftenlisten angefertigt und in der Stadt ausgelegt. Schließlich gelang es den Beteiligten am 21.12.1991 eine Menschen-Lichter-Kette zu initiieren, an der sich etwa 1.000 Personen beteiligten. In einem großen Artikel der Lausitzer Rundschau zu dieser Aktion kamen einige Teilnehmende zu Wort, die ihre Beweggründe zum Mitmachen erläuterten. Auch diese Veranstaltung wurde von lokalen KommentatorInnen vor allem dazu genutzt, ein starkes Gegenbild zur Berichterstattung „von außen“ zu vermitteln.

Antifaschistische Subkultur

Broschüre: "Linke Seiten"

Einige alternative Jugendliche in Hoyerswerda versuchten unterdessen, neben ihrer Mitarbeit in der Bürgerinitiative, auch eigene politische Akzente zu setzen. Im Umfeld des Jugendclubs „Linksabbieger“, der als Schutzraum vor rechten Übergriffen verteidigt wurde, entstand ein Zusammenhang, der unter dem Label „Antifa Hoyerswerda/Bernsdorf“ auftrat. In diesem Rahmen entstand unter anderem eine Broschüre namens „Linke Seiten“, in der eigene Texte abgedruckt wurden. Diese richteten sich vor allem an Jugendliche in der Region und hatten appellativen Charakter. So heißt es etwa mit Blick auf die soziale Situation in Hoyerswerda: „ Arbeitslosigkeit werdet ihr nicht los, indem ihr Terrorisierung und Vertreibung unschuldiger Menschen bejubelt – Im Gegenteil! Und das wollten uns auch die Demonstranten aus dem ganzen Bundesgebiet am 29.09. sagen. Die jugendlichen Neonazis sind nur die ganz Kleinen, Vorgeschickten. So wichtig es ist, rassistischen Übergriffen zu wehren, einzugreifen, so kann es jedoch nicht hoffnungslos sein, zumindest einzelne Mitläufer von ihrem sinnlosen Feinbild abzubringen und ihnen klarzumachen, wer die Alternativlosigkeit der Jugendlichen verschuldet.“

 

Quellen:

Bürgerinitiative „Freundeskreis für Ausländer“ - Aufruf zur Bildung in Hoyerswerda. Von Dr. Wolfgang Reinheckel. November 1991.
Dem Haß keine Chance. Lausitzer Rundschau vom 23.12.1991.

Dennoch: „Dem Haß keine Chance!“. Sächsische Zeitung vom 14.11.1991.

Die schwerste Aufgabe. in Lausitzer Rundschau vom 26.09.1991.

Kommunalpolitik contra Ausländerfeindlichkeit. Lausitzer Rundschau vom 06.12.1991.

Mut beweisen und Zeichen setzen gegen die Gewalt. Sächsische Zeitung vom 14.11.1991.

Normalität und Toleranz sollen die Zukunft der Stadt bestimmen. Lausitzer Rundschau vom 06.12.1991.

Polizei allein hilft nicht. Lausitzer Rundschau vom 27.09.1991.

Presseerklärung des Landrats des Kreises Hoyerswerda und des Bürgermeisters der Stadt Hoyerswerda. Wochenspiegel vom 02.10.1991.

Presseerklärung des CDU-Kreisvorstandes. Umgehende Entlassung von Innenminister Krause. Sächsische Zeitung vom 28.09.1991.
Verzeihung, mosambiquanische Freunde! Rundschau für Nordsachsen vom 27.09.1991.

Waibel, Harry (2016). Neonazistische, rassistische und antisemitische Einstellungen und Gewalt in Hoyerswerda und Umgebung von 1960 bis 2013.

Was tun? Kommentar zu Diskussionsveranstaltung im Jugendclub „Laden“. Sächsische Zeitung. Oktober 1991.

Wer nicht miteinander redet, kann kaum miteinander leben. Sächsische Zeitung vom 07.10.1991.

Wowtscherk, Christoph (2014). Was wird, wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 219-242.

Hintergrund

Eine Hoyerswerdaerin berichtet

Gudrun Erfurt hat seit 1980 in Hoyerswerda gelebt. Sie beobachtete die Angriffe auf die Flüchtlingsunterkunft in der Thomas-Müntzer-Straße von dem Altenheim aus, in welchem sie damals arbeitete. In einem Gespräch im Jahre 2012 berichtete sie von ihrer Teilnahme an der Demonstration „Gegen Rassismus und Naziterror“ wenige Tage nach dem rassistischen Pogrom.

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