Durch die rassistische Gewalt von 1991 erlebte die Neonaziszene in der Region einen enormen Aufschwung. Militante Gruppierungen versuchten, die ausländerfeindliche Stimmung vor Ort für die Rekrutierung neuer AnhängerInnen auszunutzen. Obwohl Hoyerswerda gegen Ende der 1990iger Jahre nicht mehr als rechte Hochburg galt, bildeten sich auch im neuen Jahrtausend immer wieder Strukturen heraus, die gewaltätig auftraten und überregional aktiv wurden.

Filme

Angriff auf Zeitzeugen

Im September 2011 besuchten drei Betroffene der rassistischen Angriffe von 1991 noch einmal Hoyerswerda für Filmaufnahmen. Am ehemaligen Wohnheim der mosambikanischen Vertragsarbeiter wurden sie erneut beleidigt und bedroht.

November 1991: Die "Deutsche Alternative" in Hoyerswerda

Ausschnitt aus einer Dokumentation mit Szenen eines hiesigen Treffens der "Deutschen Alternative" im November 1991. Zu Wort kommen u.a. Roman Dannenberg aus Hoyerswerda – damals Vorsitzender der "Deutschen Alternative" in Sachsen. (Quelle: YouTube)

Gebrochen Deutsch - Doku über die Situation in Eberswalde 1991 | DFF-Reihe "Das Fenster" (1991)

"Ein Film über die Fremdheit im eigenen Land. Die Kleinstadt im tiefen Osten Deutschlands ist jener graue und grelle Ort, in dem sich die Gewalt alltäglicher Umbrüche zeigt. Ihre Straßen sind voller Spiegel, worin sich gewohnte und fremde Zeichen überlagern..." (Quelle: YouTube)

1992: Neonazis in Spremberg

Reportage aus dem nur wenige Kilometer von Hoyerswerda entfernten Spremberg (Brandenburg) aus dem Jahr 1992. (Quelle: YouTube)

Bericht über die Neonaziszene in Spremberg aus dem Jahr 2012

Ein Bericht aus dem Jahr 2012 zur Neonaziszene im nur wenige Kilometer von Hoyerswerda entfernten Spremberg. (Quelle: YouTube)

Hintergrund

Rechte Hochburg Hoyerswerda – Neonazismus in den 1990iger Jahren

Die Gewaltexzesse vom September 1991 beförderten die Entwicklungen neonazistischer Aktivitäten in der Region nachhaltig. Der Ausbreitung einer rechtsradikalen Jugendkultur wurde zunächst kaum etwas entgegengesetzt. In dieser Situation versuchten militante Gruppierungen an Einfluss zu gewinnen und durch gewalttätige Aktionen ein Klima der Angst zu schüren.

Festigung einer rechten Jugendkultur

Obwohl die Vertreibung der ausländischen HeimbewohnerInnen keines der sozialen Probleme vor Ort gelöst hatte, erwiesen sich rassistische und nationalistische Einstellungen als überaus attraktives Identitätsangebot für Jugendliche. Die tagelangen Krawalle im Herbst 1991 wurden als unmissverständliche Machtdemonstration der regionalen Neonaziszene wahrgenommen. In der Pose einer „sozialen Protestbewegung“ gelang es deren Protagonisten nicht nur, sich öffentlichkeitswirksam und weitestgehend unbehelligt in Szene setzen. Die Zustimmung aus Teilen der Bevölkerung legitimierte ihr Handeln auch nach außen hin und sicherte eine gesellschaftliche Anschlussfähigkeit.

Wie Christian Wowtscherk ausführt, reagierte die Stadt auf diese Entwicklungen zunächst mit dem Versuch, „die Sorgen der Skinheads ernst zu nehmen, um sie (...) abzuhalten, ihren Frust gewalttätig abzubauen“. Durch Treffen und Gesprächsrunden mit rechten Jugendgruppen sollte Dialogbereitschaft signalisiert und eine Entschärfung der Lage herbeigeführt werden. Schnell zeigte sich jedoch, dass deren Aktions- und Organisierungspotential offenkundig unterschätzt wurde. Nach Unstimmigkeiten kam es wiederholt zu teils gewaltsamen Auseinandersetzungen und der zeitweisen Besetzung eines Jugendclubs, um die Verwaltung zu Zugeständnissen zu bewegen. Schließlich verständigten sich die Beteiligten im August 1992 darauf, der rechten Szene das Clubhaus „WeKaZehn“ unter der Aufsicht von drei SozialarbeiterInnen zur Verfügung zu stellen.

Wowtscherks Recherchen legen nahe, dass dieses Angebot großen Zuspruch fand. Um eine Kerngruppe, die etwa 50 Personen umfasste, bewegte sich demnach ein Umfeld, welches aus mehreren hundert SympathisantInnen bestand. Die Hoffnungen durch die Überlassung der Räumlichkeiten zu einer Endradikalisierung der Jugendlichen beizutragen und weitere Konflikte in der Stadt zu vermeiden, erfüllten sich nicht. Auch die Gewaltbereitschaft gegenüber Andersdenkenden nahm keineswegs ab. Stattdessen verfügten lokale Neonazibands wie die Gruppe „Bollwerk“ nun über eigene und staatlich finanzierte Probe- und Veranstaltungsräume. Der Club diente zudem als Treffpunkt der militanten neonazistischen Vereinigung „Deutsche Alternative“ (DA).

Organisierungsversuche militanter Gruppen – Die "Deutsche Alternative"

1992: Neonaziaufmarsch in Halle
(Quelle: YouTube-Screenshot)

Laut dem sächsischen Verfassungsschutzbericht des Jahres 1993 verfügte die DA seit Mai 1991 über einen hiesigen Landesverband mit Sitz in Hoyerswerda, der etwa 80 Mitglieder zählte. Wie Bernd Wagner in seinem „Handbuch Rechtsextremismus“ darlegt, verstand sich die 1989 in Bremen ins Leben gerufene Vereinigung „als legaler politischer Arm“ der von Michael Kühnen geführten „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF). Jene Kaderorganisation hatte sich die „Wiederzulassung der NSDAP und die Errichtung eines ,Vierten Reiches‘“ zum Ziel gesetzt. Gemeinsam mit anderen Funktionären aus den alten Bundesländern unternahm Kühnen bereits unmittelbar nach der Maueröffnung große Anstrengungen, rechtsradikale Gruppierungen in Ostdeutschland miteinander zu vernetzen. In der Folge schlossen sich bestehende Neonazistrukturen in Cottbus, Dresden und Rostock zu lokalen Verbänden der „Deutschen Alternative“ zusammen.

Martin Dannenberg am Grab von Michael
Kühnen 1992 (Quelle: YouTube-Screenshot)

Nach Kühnens Tod im Frühjahr 1991 wurde der Cottbusser Neonazi Frank Hübner zum neuen Bundesvorsitzenden der DA gewählt. Zu dessen engsten Vertrauten gehörte Martin Dannenberg aus Hoyerswerda, der dem sächsischen Landesverband vorstand. Beide waren schon vor der Wende in die alte Bundesrepublik gelangt, wo sie sich in rechtsradikalen Zusammenhängen betätigten. Fortan verlagerte die Organisation ihren Aktionsradius zunehmend in die Regionen Südbrandenburg und Ostsachsen. Neben den dort ansässigen Landesverbänden in Cottbus und Hoyerswerda gründeten sich u.a. in Senftenberg, Spremberg und Forst weitere Ortsgruppen.

Antifaschistische Kreise wiesen schon Ende 1991 auf das akute Gefahrenpotential der "Deutschen Alternative" hin. Demnach hätten sich DA- AnhängerInnen gemeinsam mit Mitgliedern der Bürgerwehr "Neue Deutsche Ordnung" federführend an den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda beteiligt. In einem Rundschreiben, aus dem die FAZ vom 11.12.1992 zitierte, rechtfertige ihr Landesverband das Pogrom mit den Worten: "Die Ereignisse in Hoyerswerda waren keine Einzelaktionen irgendwelcher Chaoten, sondern der Wille des deutschen Volkes".

Durch ihren radikalen Gestus und den Aufbau von internationalen Kontakten, die nach Wagner, von Holocaustleugnern in England bis zum Ku-Klux-Klan in die USA reichten, gelang es der DA sich im Verlauf des Jahres 1992 "als (..) mitgliederstärkste neonazistische Organisation in den neuen Bundesländern" zu etablieren. Der Verfassungsschutz schätzte die damalige AnhängerInnenzahl der Vereinigung auf etwa 350 Personen. Die zahlreichen von ihr ausgerichteten Konzertveranstaltungen und Demonstrationen hatten "Eventcharakter" und entwickelten ein enormes Mobilisierungspotential.

Logo der verbotenen "Deutschen Alternative"

Als sich im August 1992 ein weiteres ausländerfeindliches Pogrom in Rostock Lichtenhagen abzeichnete, fuhren Dannenberg und andere Szenegrößen zum Ort des Geschehens, um die dortige Lage weiter zu eskalieren. In einem Bericht des Spiegels vom 31.08.1992, kündigte er an: „Rostock ist nur ein Anfang, das wird eine Kettenreaktion“. Kurz darauf begannen auch im Einzugsgebiet der „Deutschen Alternative“ erneut flächendeckende Angriffe auf Unterkünfte von Asylsuchenden, die mit ihr in Verbindung gebracht wurden. Einem Bericht der taz vom 02.09.1992 zufolge, belagerten Neonazis über mehrere Tage ein Wohnheim in Cottbus- Sachsendorf. Zeitgleich wurde im Nachbarort Vetschau eine Einrichtung mit Steinen attackiert und auch „in Spremberg (…) nahm die Polizei (…) drei Jugendliche aus dem Kreis Hoyerswerda fest, die aus einem fahrenden Trabant heraus das dortige Asylbewerberheim mit einer Rauchbombe beworfen hatten.“

Während der damalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe laut taz vom 09.09.1992 „DA-Chef Hübner bei einer öffentlichen Versammlung in Cottbus“ noch „zu einem Gespräch“ eingeladen hatte, unternahm der Verfassungsschutz erste Anstrengungen, um ein Verbot der Organisation zu erwirken. Der Handlungsdruck von staatlicher Seite nahm weiter zu, als im Oktober 1992 bekannt wurde, dass Dannenberg die Einrichtung von „Mobilen Einsatzkommandos“ plante, um landesweit gewalttätige Aktionen zu koordinieren. Durch eine Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 10.12.1992 kam es schließlich zur Auflösung der „Deutschen Alternative“. Die FAZ meldete einen Tag später, dass die anschließenden Hausdurchsuchungen zur Festnahme zweier DA- Aktivisten aus Hoyerswerda führten, die im Verdacht standen, in Bautzen „ein italienisches Restaurant überfallen und einen Italiener schwer verletzt zu haben“. Die führenden Köpfe der Vereinigung blieben jedoch weiter auf freiem Fuß.

Zerfallserscheinungen und neue Schwerpunkte rechter Strukturen

Das längst überfällige Verbot der „Deutschen Alternative“ zeigte Wirkung. Zwar konnte Frank Hübner seine politische Tätigkeit in Cottbus fortsetzen, das nach wie vor als Hotspot der Neonaziszene in Brandenburg galt. Jedoch gelang es regionalen Strukturen nicht mehr, sich auf eine ähnliche Weise flächendeckend zu vernetzen. Die zunehmende Strafverfolgung zwang militante Kreise zudem, sich stärker aus der Öffentlichkeit zurück zuziehen und konspirativer zu agieren. Dadurch erschwerte sich deren Anbindung an eine rechtsoffene Jugend- und Alltagskultur.

Trotz dieser positiven Entwicklungen und eines damit verbundenen Rückzugs örtlicher Neonazikader entspannte sich die Situation in Hoyerswerda nur langsam. Wie aus den Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz hervorgeht, gehörte die Stadt neben Dresden, Görlitz und Zittau noch bis etwa Mitte der 1990iger Jahre zu den Schwerpunktregionen rechtsradikaler Skinheads in Sachsen. Erst nachdem ein Überfall auf einen alternativen Jugendclub im Frühjahr 1993 Mike Zerna das Leben kostete und einer der Täter anschließend Selbstmord verübte, brach ihre Hegemonie vor Ort allmählich auf. Eine gezielte Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte trug dazu bei, dass sich Jugendliche stärker von rechten Milieus distanzierten. Personengruppen, die alternativen Subkulturen angehörten, begannen damit, sich aktiv gegen Angriffe zur Wehr zusetzen.

Flyer des Jungen Nationalen Spektrums

Bis ins Jahr 1995 beschränkten sich die öffentlichen Aktivitäten der Skinheadszene in Hoyerswerda nur mehr auf die Durchführung von Rechtsrockkonzerten und die Ausrichtung einer Gedenkkundgebung für ihren verstorbenen Kameraden. Einer Pressemitteilung zufolge, die am 20.02.1995 in der taz erschien, löste die Polizei die verbotene Veranstaltung auf und nahm 37 Personen in Gewahrsam. Politische Bestrebungen neonazistischer Gruppierungen waren laut Verfassungsschutz ab diesem Zeitpunkt vor allem im nahegelegenen Weißwasser zu beobachten. Dort versuchte die durch Udo Hempel geführte Vereinigung „Jungens Nationales Spektrum“ (JNS), „insbesondere unter ehemaligen Anhängern der verbotenen DA, Mitglieder zu gewinnen“. Das JNS trat als Jugendverband der in Berlin ansässigen Organisation „Die Nationalen e.V.“ auf und gab eine eigene Zeitschrift heraus. Am 28.01.1996 rief die Gruppe zu einer nicht genehmigten Demonstration in Hoyerswerda auf und konnte etwa 200 AnhängerInnen mobilisieren. Laut einer dpa-Meldung sprach die Polizei Platzverweise aus und setzte 20 Personen fest.

Im Verlauf des Jahres 1996 trat mit der NPD ein neuer politischer Akteur auf, der sich darum bemühte, bestehende Strukturen in der Region unter einem gemeinsamen Dach zu vereinen. Während die Gründung von Kreisverbänden in anderen Teilen Sachsens rasch zu einer Etablierung der Partei führte, blieb sie in Hoyerswerda erfolglos. Ihre Versuche im August 1996 öffentliche Veranstaltungen anlässlich des Todestages von Rudolf Hess abzuhalten, scheiterten auf Grund von Verboten. Die zunehmende Abwanderung und der Rückzug älterer Protagonisten ins Privatleben führte zu einem weiteren Zerfall der rechten Szene vor Ort, die jedoch nach wie vor über feste Treffpunkte verfügte und auch gewalttätig in Erscheinung treten konnte. Indes machten sich gegen Ende der 1990iger in kleineren umliegenden Ortschaften, wie Bernsdorf und der Oberlausitz verstärkt neonazistische Tendenzen bemerkbar.

 

Quellen:

20 Festnahmen. Pressemitteilung der dpa vom 28.01.1996.

„Deutsche Alternative“ – Treibende Kraft des Pogroms in Hoyerswerda. Antifa – Infoblatt Nr. 16, Winter 1991.

Die legalen Arme der Bewegung. taz vom 13.11.1992.

„Ernstes Zeichen an der Wand“. Der Spiegel vom 31.08.1992.

Hitler als Traditionsmitglied. taz vom 11.12.1992.

Gewalt gegen Flüchtlingsheime. taz vom 02.09.1992.

Kaum gewaltbereites Potential. Sächsische Zeitung vom 04.03.1998.

Nazi-Demo aufgelöst. taz vom 20.02.1995.

Nazis planen Einsatzkommandos. taz vom 17.10.1992.

Sächsisches Staatsministerium des Innern / Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (Hg.): Verfassungsschutzberichte des Jahres 1993-2000.

Seiters verbietet weitere rechtsextremistische Organisation. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.12.1992.

Wagner, Bernd (Hg.) (1994): Handbuch Rechtsextremismus. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, S. 81-87.

Wowtscherk, Christoph (2014): Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 58-67, 132-148, 223-240.

Hintergrund

Politkader und rechtsradikale Cliquen - Neonazismus in Hoyerswerda seit 2000

Mit dem Beginn des neuen Jahrtausends nahmen neonazistische Tendenzen in Hoyerswerda wieder spürbar zu. Jüngere Neonazikader, die um eine Aneignung neuer Themenfelder und Politikkonzepte bemüht waren, gründeten in rascher Folge eine Vielzahl von Netzwerken mit überregionaler Strahlkraft. Auch wenn der gesamtgesellschaftliche Einfluss gering war, bereitete ihr Agieren den Boden für die Entstehung rechtsradikaler Cliquen, die vor allem durch Einschüchterungsversuche und Angriffe gegenüber Andersdenkenden in Erscheinung traten. Seit dem ansteigenden Zuzug von Asylsuchenden in die Region verlagerten sich deren Bestrebungen nahezu ausschließlich auf die Agitation gegen MigrantInnen.

Skinheads und Sozialprotest – Die „Freien Aktivisten Hoyerswerda“ und das „Lausitzer Aktionsbündnis“

Im Vergleich zur Nachwendezeit hatten rechtsradikale Strukturen in der Region Hoyerswerda gegen Ende der 1990er Jahre an Bedeutung verloren. Wie der damalige Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Eckehardt Dietrich gegenüber der Sächsischen Zeitung vom 08.03.1998 erklärte, wurde die Stadt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr „zu den Hochburgen rechter ,Vereinigungen‘“ im Freistaat gezählt. Zwar ließen sich, laut Dietrich, „vereinzelte Skinheads“ ausmachen, die zur Gewalt bereit waren. Jene galten jedoch als „kaum organisiert“.

Fünf Jahre später musste diese Einschätzung revidiert werden. Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2002 wies darauf hin, dass sich Neonazis vermehrt in sogenannten Kameradschaften zu organisieren begannen. Mit den „Freien Aktivisten Hoyerswerda“ (FAH) um Sebastian Richter trat auch in der Lausitz eine neue Gruppierung in Erscheinung, die sich aktiv um eine weitere Vernetzung nach Ostsachsen und Brandenburg bemühte sowie öffentliche Aktionen durchführte. Wie das Antifaschistische Infoblatt im Dezember 2002 berichtete, planten die FAH zunächst am 9. November desselben Jahres eine Demonstration in Hoyerswerda, die allerdings nach Protesten wieder abgesagt wurde. In der Folge initiierten sie ein „Heldengedenken“, an dem sich um die 50 Personen beteiligten und einen Aufmarsch „gegen Arbeitslosigkeit“, zu dem rund 120 Neonazis mobilisiert werden konnten.

Mitteldeutsche Jugendzeitung

Obwohl die Akteure der FAH laut eigener Auskunft die NPD im Wahlkampf 2002 unterstützten, fiel ihr Agieren anders als in der Sächsischen Schweiz oder der Oberlausitz nicht mit einem gleichzeitigen Erstarken der rechtsradikalen Partei zusammen, die in Hoyerswerda und Umland über keine gewachsenen Strukturen verfügte. Richter selbst verstand sich in erster Linie als Politkader mit überregionalen Ambitionen. Neben der Einrichtung eines „Nationalen Infotelefons“ der FAH, das zur Bewerbung bundesweiter Szeneveranstaltungen dienen sollte, fungierte er auch als Autor und Gestalter der „Mitteldeutschen Jugendzeitung“ (MJZ). Laut einem Text des Journalisten Stephan Lindke ging jenes Zeitschriftenprojekt aus der Zusammenlegung verschiedener Szene-Fanzines, wie etwa „Die Kameradschaft aus Hoyerswerda“, hervor und erschien ab dem Jahr 2001. Inhaltlich fokussierte sich die MJZ auf die Darstellung von Aktionsberichten und diente als ideologisches Schulungsorgan.

Blickpunkt Lausitz

Nachdem Richter nach Mecklenburg- Vorpommern verzog und der bisherige Herausgeber Gordon Reinholz unter Repressionsdruck geriet, wurden deren Redaktionsstrukturen in das Netzwerk „Nationaler Medienverbund“ überführt, welches sich in den folgenden Jahren auch für die logistische Verbreitung von sogenannten „Regionalzeitungen“ verantwortlich zeigte. Blättchen, wie der „Berliner Bote“ oder „Blickpunkt Lausitz“ erhielten einen bewusst „seriösen“ Anstrich, durch den Sozialkritik und lokale Themen mit neonazistischen Inhalten verbunden werden sollten.

Richters Strategie aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und sich auch jenseits der eigene politischen Sphäre hinweg als attraktive Oppositionskraft zu inszenieren, scheiterte in Hoyerswerda zunächst am Gebaren der lokalen Szene. Jene war nach wie vor stark von der militanten Neonazisubkultur der 1990er Jahre geprägt und abgesehen von gewalttätigen Übergriffen kaum handlungsfähig. So misslang der Versuch im Januar 2003 ein rechtes Skinheadkonzert in der Stadt auszurichten, laut Auskünften des Innenministeriums, durch ein frühes Einschreiten der Polizei. Hierbei wurden „ca. 150 Personen festgestellt, die vorwiegend aus dem Gebiet Hoyerswerda und Umgebung kamen“ sowie mehrere Anzeigen aufgenommen. Im Jahr darauf waren Mitglieder der militanten Neonaziszene zudem von bundesweiten Razzien betroffen, bei denen die Polizei „ein umfangreiches Waffenarsenal“ und „500 Gramm Plastiksprengstoff“ sicherstellte. Wie die dpa in einer Pressemitteilung vom 17.01.2004 schrieb, durchsuchten die Einsatzkräfte im Zuge der Aktion unter anderem die Hoyerswerdaer Szenekneipe „Wassermann“ und nahmen einen 26jährigen Mann vorläufig fest.

Die FAH versuchten indes die Sozialproteste gegen die „Agenda 2010“ für sich zu vereinnahmen und beteiligten sich regelmäßig an den lokalen „Montagsdemonstrationen“. Die enge Verbindung zu Gordon Reinholz ermöglichte ihnen dabei die Unterstützung durch das von ihm ins Leben gerufene „Nationale und Soziale Aktionsbündnis Mitteldeutschland“ (NSAM). Mit Hilfe einer gezielten Kampagnenpolitik gelang es somit, die Propagierung eines „Antikapitalismus von rechts“ voranzutreiben. Unter dem Motto „Unsere Agenda heißt Widerstand!“ und der Parole „Nur ein nationaler Sozialismus schafft Arbeit und soziale Gerechtigkeit!“ organisierten das NSAM und die FAH am 18.09.2004 einen eigenen Aufmarsch in Hoyerswerda, in dessen Aufruf die „Agenda 2010“ als „Produkt einer volksfremden und international ausgerichteten Politik des BRD-Systems“ bezeichnet wurde. An der Demonstration nahmen etwa 180 Personen teil.

Aufmarsch von LAB, NPD und JN in Görlitz
im Oktober 2005 (Bild: ostsachseninfos)

Die fortgesetzten Vernetzungsbemühungen führten im Jahr 2005 zur Gründung des „Lausitzer Aktionsbündnis“ (LAB), in dem, wie Frank Carstens in der Zeitschrift „Der rechte Rand“ ausführt, neben den FAH auch Gruppen, wie die „Lausitzer Front Guben“, der „Sturm Cottbus“ und die „Gesinnungsgemeinschaft Süd-Ost-Brandenburg“ miteinander organisiert waren. Aus diesem Netzwerk wurden im Jahresverlauf unter anderem in Weißwasser (02.07.2005), Görlitz (02.10.2005) und Senftenberg (10.12.2005) Demonstrationen zu verschiedenen Themen durchgeführt, an denen sich 100 bis 250 Neonazis beteiligten. Des Weiteren bestanden Kontakte in das Umfeld der „Freien Kräfte Sachsen“ (FKS), die zunehmend durch neuartige und spontane Aktionsformen auffielen. Nachdem im April 2006 eine Solidaritätsdemonstration für den Holocaustleugner Ernst Zündel in Bautzen verboten wurde, gelang es etwa 150 Personen in Hoyerswerda einen spontanen Aufmarsch als Ersatzveranstaltung abzuhalten. Laut Carstens kam es auch am 01.05.2006 im Rahmen einer „Kaffeefahrt“ durch die Protagonisten der FKS zu unangemeldeten Demonstrationen sowie Verteilaktionen in Niesky und Bautzen. In Hoyerswerda störten sie am gleichen Tag zudem eine Kundgebung der Linkspartei.

Plakat zur Neonazidemo der JN im September
2006 in Hoyerswerda, auf welcher das
rassistische Pogrom von 1991 verherrlicht wurde.

In Erwartung ansteigender Ermittlungen gab das LAB im August 2006 seine Selbstauflösung bekannt. Dennoch fand im September desselben Jahres erneut ein Aufmarsch von etwa 150 Neonazis in Hoyerswerda statt, bei dem die Ereignisse vom September 1991 als „Volksaufstand“ glorifiziert wurden. Sebastian Richter verkündete schließlich in einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vom 17.11.2006, dass die FAH auf Grund des Repressionsdrucks in den Strukturen der Jugendorganisation der NPD aufgegangen seien. Die „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) näherten sich überdies verstärkt dem inhaltlichen Kurs der antikapitalistisch und demokratiefeindlich ausgerichteten „freien Szene“ an. „Mit dieser Distanzierung zum liberal-kapitalistischen System“, so Richter gegenüber der SZ, „ist sie für uns, die revolutionären Nationalisten, attraktiv geworden: Sie fordern genau wie wir einen Volksstaat, der national und sozialistisch ist.“

Auch die NPD gründete Anfang 2006 einen Kreisverband mit Sitz im benachbarten Kamenz, dessen Vorsitz der ortsansässige Handwerksmeister Mario Ertel übernahm. Sein Stellvertreter wurde Robert Engler aus Hoyerswerda. Wenig später eröffnete der NPD-Landtagsabgeordnete Holger Apfel ein Bürgerbüro in einer Immobilie Ertels, in der sich neben einem Schulungsraum, auch der „Klub 22“ befand, wo Freizeitveranstaltungen und Kampfsporttrainings stattfanden.

Neue Aktionsformen – „Autonome Nationalisten“ und das „Spreelichter-Netzwerk“

Einem Bericht der Sächsischen Zeitung vom 13.07.2007 zufolge galten die JN-Strukturen in Hoyerswerda und der Sächsischen Schweiz zu diesem Zeitpunkt als die Aktivsten im Freistaat. Wie Frank Carstens darlegte, wurde der Schulterschluss zwischen „freien Kräften“ und der JN auch bundesweit weiter vorangetrieben. In der Lausitz setzte die Neonaziszene dabei weiterhin auf konspirative Aktionsformen. So versammelten sich laut Angaben örtlicher AntifaschistInnen am 23.11.2007 rund 150 Personen zu unangemeldeten Fackelmärschen in Nardt und Hoyerswerda.

Der „revolutionäre“ Habitus, den Richter und andere Kader inhaltlich vorantrieben, führte insbesondere bei jüngeren Neonazis auch zu einem subkulturellen Wandel. Unter dem Label der „Autonomen Nationalisten“ entstand im rechtsradikalen Lager eine Strömung, die bewusst auf eine Nachahmung von linker Symbolik setzte und sich durch die Nutzung neuer Medien militant und aktionistisch inszenierte. Wie Carstens feststellt, wurde es damit zunehmend schwieriger, zu unterscheiden, ob Protagonisten der rechten Szene „gerade als JN, ,Freie Aktivisten‘, ,Nationale Sozialisten‘ oder ,Autonome Nationalisten‘“ auftraten. Es handelte sich demnach „um weitgehend dieselben Personen, die das jeweils verwendete Label anlassbezogen“ wählten und dadurch zu einer weiteren „Radikalisierung beider Seiten“ beitrugen.

ANH-Transparent auf Neonaziaufmarsch im
Februar 2008 in Dresden (Bild: indymedia)

Auch in Hoyerswerda und Spremberg schlossen sich ab 2007 rechtsradikale Cliquen unter diesen Vorzeichen zusammen. Dabei beschränkten sich die politischen Aktivitäten der „Autonomen Nationalisten Hoyerswerda“ (ANH) neben der Teilnahme an Neonaziaufmärschen nahezu ausschließlich auf vielfältige lokale Propagandaaktionen, die mitunter durch Berichte und selbstgedrehte Videoclips auf der brandenburgischen Internetplattform „Jugend-Offensive“ öffentlich gemacht wurden. Darüber hinaus nahmen auch Bedrohungen und Angriffe gegenüber alternativen Jugendlichen stark zu. Die Sächsische Zeitung teilte am 02.11.2007 unter Bezugnahme auf eine Statistik der Opferberatungsstelle AMAL mit, dass es seit 2006 mindestens 24 solcher Vorfälle im Stadtgebiet gegeben hatte, bei denen mehrere Personen verletzt worden waren.

In den folgenden Jahren gingen die Aktivitäten der ANH zunächst zurück, dennoch war jenes Umfeld auch weiterhin darum bemüht, an öffentlichen Plätzen Präsenz zu zeigen. Die fortgesetzten Einschüchterungsversuche gegenüber Andersdenkenden schienen ihre Wirkung in Hoyerswerda nicht zu verfehlen. Wie einem Bericht auf „Zeit Online“ vom 16.09.2009 zu entnehmen ist, nahm etwa der damalige Kinobetreiber der Stadt einen Film aus seinem Programm, nachdem er eine Bombendrohung aus der rechten Szene erhalten hatte.

"Volkstod"-Aufmarsch am 1. Mai 2010
in Hoyerswerda (Bild: AIB)

Die veränderten Aktionsfelder lokaler Gruppierungen sowie die rege Nutzung von Internetplattformen wie der „Jugend-Offensive“ veranlassten im Jahr 2009 brandenburgische Neonazis, wie den aus Lübben stammenden Marcel Forstmeier, zur Gründung der überregionalen Vereinigung „Widerstandsbewegung Süd-Brandenburg“. Jenes Netzwerk, das ebenfalls unter dem Namen „Spreelichter“ agierte, versuchte von nun an, den Aktionsdrang der neuentstandenen Kleingruppen in der Region durch eine gemeinsame Kampagnenpolitik zu bündeln. In einem veröffentlichten Positionspapier hieß es mit Blick auf die erste sogenannte „Volkstod“-Kampagne: „Es geht um Propaganda (...), die unmissverständlich das System als Grund dafür erkennt und benennt, dass unser Volk seinem Tod entgegengeht. Um Propaganda, die den nationalen Sozialismus als einzige Lösung etabliert, die ›Demokratie westlicher Prägung‹ hingegen als todbringende Gefahr der Völker brandmarkt.“ Fortan fanden unter diesem Slogan zahlreiche Aktionen und schließlich am 1.Mai 2010 auch eine Demonstration in Hoyerswerda statt, an der etwa 300 Neonazis teilnahmen.

Fackelmarsch der "Unsterblichen" in
Bautzen 2011 (Bild: YouTube-Screenshot)

Im Jahr darauf initiierte das „Spreelichter“-Netzwerk die Kampagne „Werde unsterblich“. Hierbei organisierten sie zusammen mit Neonazis aus anderen Regionen konspirative Fackelmärsche mit mehreren Hundert einheitlich maskierten TeilnehmerInnen und verbreiteten Videos der Aktionen im Internet. Die erste Veranstaltung dieser Art wurde am 1. Mai 2011 in Bautzen abgehalten und erlangte große Aufmerksamkeit. In der Folge adaptierten auch andere Akteure der bundesdeutschen Neonaziszene dieses Demonstrationskonzept. Wie aus Berichten des Antifaschistischen Infoblattes hervorgeht, fanden Anfang 2012 großangelegte Polizeirazzien statt, um „die Unsterblichen“ zu zerschlagen. Am 19.06.2012 folgten weitere Durchsuchungen und das Verbot der „Widerstandsbewegung Süd-Brandenburg“.

Gewalt als verbindendes Element – die „Nationalen Sozialisten Hoyerswerda“, „Freie Kräfte“ und zunehmende Anti-Asyl-Proteste

Die Neonaziszene in Hoyerswerda restrukturierte und radikalisierte sich erneut im Jahr 2011. Um eine antifaschistische Demonstration in Gedenken an das rassistische Pogrom von 1991 zu stören, versammelten sich im September mehrere Dutzend Rechtsradikale, die fortan unter der Bezeichnung „Nationale Sozialisten Hoyerswerda“ (NSH) in Erscheinung traten und vor allem durch gewalttätige Aktionen gegen Andersdenkende auffielen. So griffen Akteure der NSH, laut einem Artikel auf Zeit Online vom 21.09.2012, im Verlauf des Jahres 2012 mehrfach Veranstaltungen der örtlichen Linkspartei an und riefen in sozialen Netzwerken wiederum dazu auf, gegen eine linke Demonstration vorzugehen, um zu zeigen, „dass Hoyerswerda in nationaler Hand bleibt“. Auch die Anzahl von Attacken gegen das örtliche Büro der Linkspartei stieg mit dem aktiv werden der NSH weiter an. Nach Angaben der Lausitzer Rundschau wurde das Gebäude von 2010 bis Anfang 2016 16 Mal zur Zielscheibe von Rechtsradikalen.

Wie der sächsische Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2013 ausführt, belagerten Personen aus dem Umfeld der NSH im Oktober 2012 die „Wohnung von zwei Personen in Hoyerswerda, die sich zuvor gegen Rechtsextremismus engagiert“ und „daraufhin die Stadt verlassen“ hatten. „In der Folgezeit machten sich“, wie es weiter heißt, „Rechtsextremisten in der Hoyerswerdaer Innenstadt gezielt auf die Suche nach weiteren Opfern. Bei derartigen Aktionen wurden im Mai und im September 2013 Personen angegriffen und verletzt.“ Aufgrund dieser und weiterer Vorfälle waren die NSH aus Sicht der Behörde zu diesem Zeitpunkt die „aktivste rechtsextremistische Gruppierung im Landkreis Bautzen“. Aus einer Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Linksfraktion vom 30.10.2014 geht zudem hervor, dass die NSH, trotz ihres offen gewalttätigen Auftretens, „in der (…) Szene als gut vernetzt“ galten. Kontakte bestanden unter anderem zu Gruppen wie den „Freien Kräften Lausitz-Niederschlesien“ und der NPD, die auch bei regionalen Wahlkampfaktionen unterstützt wurde. Außerdem beteiligten sie sich an zahlreichen Neonazi-Demonstrationen.

Der bereits erwähnte Bericht von „Zeit Online“ legt nahe, dass die Aktivitäten der NSH in der regionalen Presse und auch von Seiten der Polizei zunächst bagatellisiert wurden. Erst nachdem es im April 2013 zu Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der NSH mit Einsatzkräften kam, die eine Zusammenkunft zu „Ehren Adolf Hitlers“ auflösen wollten und bei einem Angriff auf eine Discothek am 29.09.2013 rund 20 Personen durch Reizgas verletzt worden waren, nahm der Ermittlungsdruck auf die Gruppe spürbar zu. Am 17.12.2013 erfolgten nach Angaben des Innenministeriums Razzien, bei der sieben Wohnungen in Hoyerswerda durchsucht wurden. Laut Leipziger Volkszeitung vom 18.12.2013 fanden die Beamten dabei „Reizgassprühgeräte, einen Elektroschocker, einen Teleskopschlagstock, zwei Baseballschläger, einen Schlagring, ein Einhandmesser, vier Patronen Gewehrmunition sowie 64 in Deutschland nicht zugelassene Feuerwerkskörper“. Anschließende Strafverfolgungen und Prozesse führten dazu, dass das Umfeld der NSH fortan unter den Labels „Freie Kräfte Hoyerswerda“ (FKH) und „Nationaler Widerstand Hoyerswerda“ auftrat.

Mit dem Zuzug von Asylsuchenden nach Hoyerswerda zu Beginn des Jahres 2014 beschränkten sich die Aktivitäten der lokalen Neonaziszene fast nur noch auf die Agitation gegen MigrantInnen. Wie die taz am 25.04.2014 berichtete, vernetzten sich deren Akteure auf der NPD-nahen Facebookseite: „Nein zum Heim Hoyerswerda“ und koordinierten dort gemeinsame Protestaktionen. Daneben kam es immer wieder auch zu direkten Angriffen auf Geflüchtete und deren Unterkünfte.

Hoygida-Aufmarsch im Januar 2015 –
begleitet von Neonazi-Parolen

Laut der Antwort des Innenministeriums auf eine Anfrage der Grünen vom 28.11.2016 führten die FKS in Zusammenarbeit mit der Kleinstpartei „die Rechte“ allein im Jahr 2015 mindestens vier Antiasyldemonstrationen in Hoyerswerda durch, deren TeilnehmerInnenzahl im Schnitt bei etwa 50 Personen lag. Des Weiteren beteiligten sie sich an allen fünf vom PEGIDA-Ableger HOYGIDA veranstaltenden Demonstrationen, die zwischen Januar und März 2015 ausgerichtet wurden. Wie die alternative Nachrichtenplattform addn.me berichtete, wurden beim ersten Aufmarsch am 24.01.2015 auch rechte Parolen, wie etwa "Die Straße frei, der deutschen Jugend", "Wir wollen keine Asylantenheime", "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen", "Ruhm und Ehre der deutschen Nation" und "Lügenpresse auf die Fresse", gerufen. Die Neonazis, von denen die Sprechchöre ausgingen, durften jedoch weiter an dem Aufzug teilnehmen.

Nachdem die TeilnehmerInnenzahlen jener Aufmärsche rasch von 300 auf etwa 70 Personen zurückgingen und der Organisatorin Gabriele Williger eine deutliche Nähe zu rechtsradikalen Strukturen nachgewiesen werden konnte, fanden keine weiteren Proteste unter diesem Label mehr statt. Stattdessen richtete Williger im Laufe des Jahres 2015 drei weitere Anti-Asyl-Veranstaltungen in der Stadt aus, die fast ausschließlich Mitglieder der rechten Szene ansprachen. Berichten der regionalen Internetblogs „blaulicht-paparrazo“ und „lauterbautzner“ zufolge, trat sie am 18.09.2015 ebenfalls als Anmelderin einer Demonstration gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung in Bischofswerda auf, die von einem Transparent der FKH angeführt und in deren Verlauf neonazistische Parolen skandiert wurden. Aufgeputscht durch die aggressive Stimmung blockierten im Nachgang etwa 30 Personen die Zufahrt der Unterkunft, woraufhin die Polizei einschreiten musste.

Auch in Bautzen und Kamenz sowie umliegenden kleineren Ortschaften waren Neonazis entweder maßgeblich für die Ausrichtung von Anti-Asyl- Protesten im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ verantwortlich, oder beteiligten sich an ihnen, ohne, dass es zu einer Abgrenzung durch andere VeranstalterInnen kam. Das Innenministerium zählte allein im Jahr 2015 insgesamt 276 Versammlungen in Sachsen, die sich „gegen die Unterbringung von Flüchtlingen vor geplanten oder bestehenden Gemeinschaftsunterkünften sowie Wohnungen, in denen Flüchtlinge untergebracht wurden, richteten“. Im selben Zeitraum waren 101 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte erfasst worden.

Mit dem Aufgreifen und der Zuspitzung der Asyldebatte durch die rechtspopulistische AfD verloren, nach Angaben der Sächsischen Zeitung vom 05.09.2016, insbesondere die regionalen NPD-Strukturen in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. Dafür erzielten die AfD-Kandidaten Tino Chrupalle aus Görlitz (für den Wahlkreis Görlitz) und Karsten Hilse aus Hoyerswerda (für den Wahlkreis Bautzen I) bei den Bundestagswahlen vom 24.09.2017 Wahlergebnisse von 32,4% und 33,2%, wodurch ihnen der Direkteinzug in den deutschen Bundestag ermöglicht wurde.

 

Quellen:

Angstzonen mitten in Hoyerswerda. Sächsische Zeitung vom 02.11.2007.

Asyl-Kritiker marschieren in Bischofswerda auf – Demo durch die Südvorstadt. Bericht des Internetblog „blaulicht-paparazzo“ vom 18.09.2015.

Aufruf zur Demonstration des NSAM am 18. September 2004 in Hoyerswerda. Auf der Jagd nach Andersdenkenden. Sächsische Zeitung vom 24./25.05.2014.

Bedrohtes Paar in Hoyerswerda: Neonazis flüchten sich vor Gericht in Alkohol-Ausreden. Leipziger Volkszeitung vom 14.01.2014.

Das Ende der NPD. Sächsische Zeitung vom 05.09.2016.

Die organisierte Kampfgemeinschaft – Die JN in Sachsen. Der Rechte Rand Nr. 121, Nov./Dez. 2009.

Dresdner Thesen und ein paar Misstöne. Sächsische Zeitung vom 23.02.1015.

Hoyerswerdas Rechte sind „Motor“. Sächsische Zeitung vom 14./15.06.2003.

Hoygida-Demonstration. Sächsische Zeitung vom 09.02.1015.

Hoygida jetzt auch in Hoyerswerda-Altstadt. Sächsische Zeitung vom 23.03.2015.

HOYGIDA: Rechter Mob statt Bürgernähe – mehr als 100 Menschen bei Gegenkundgebung. https://www.addn.me/nazis/hoygida-rechter-mob-statt-buergernaehe-mehr-als-100-menschen-bei-gegenkundgebung (zuletzt aufgerufen am 10.12.2017).

Kleine Anfrage der PDS-Fraktion im sächsischen Landtag vom 02.04.2003 – Thema: Unterbundenes rechtes Skinhead-Konzert am 25.Januar 2003 in Hoyerswerda.

Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im sächsischen Landtag vom 30.10.2014 – Thema: Aktivitäten der „Nationalen Sozialisten Hoyerswerda“.

Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN vom 28.11.2016 – Thema: Aktivitäten der „Freien Kräfte im Landkreis Bautzen“.

Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE im sächsischen Landtag vom 25.01.2016 – Thema: Proteste gegen und Übergriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten im Freistaat Sachsen / 4. Quartal 2015.

Linken-Büro wird immer öfter zur Zielscheibe. Lausitzer Rundschau vom 22.01.2016.

Malermeister aus der AfD verdrängt Unionsfraktionsvize aus Bundestag. Welt-Online vom 25.09.2017.

Militante Naziszene ruft zu Gewalt gegen Antirassismus-Demo auf. Zeit Online vom 21.09.2012.

Mitteilung zur Gründung des NPD-Kreisverbandes Kamenz/Hoyerswerda vom 16.01.2006.

„Mitteldeutsche Jugendzeitung“. Der Rechte Rand Nr. 90, Sep./Okt. 2004.

Mit dumpfem Trott zum braunen Haus. Sächsische Zeitung vom 04.10.2005.

Nachts schleichen sie um das Heim. taz vom 25.04.2014.

Näher an der PDS als an der CDU. Interview mit Sebastian Richter. Sächsische Zeitung vom 17.11.2006.

Nazi-Aktionen in Hoyerswerda. Antifaschistisches Infoblatt Nr. 58/4.2002.

Nazis gegen Hollywood: Bombendrohung wegen Tarantino-Film. Zeit Online vom 16.09.2009.

Polizei findet Sprengstoff bei Hausdurchsuchung. Meldung der dpa, Frankfurter Rundschau vom 17.01.2004.

Pressemitteilung zur Gründung des NPD-Kreisverbandes Kamenz/Hoyerswerda vom 16.01.2006.

Razzia bei Nationalen Sozialisten Hoyerswerda – Waffen sichergestellt. Leipziger Volkszeitung vom 18.12.2013.

Rechtsextreme in Hoyerswerda besonders aktiv. Sächsische Zeitung vom 13.07.2007.

Sachsen bleibt rechts. Der Rechte Rand Nr. 104, Jan./Feb. 2007.

Sächsisches Staatsministerium des Innern / Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (Hg.): Sächsischer Verfassungsschutzbericht des Jahres 2002, 2012-2016.

Vorbildlicher Volkstod. Das Neonazi- Netzwerk „Spreelichter“. Antifaschistisches Infoblatt Nr. 92, 3.2011 vom 15.09.2011.

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