Schon in den 1990iger Jahren versuchten lokale Initiativen wie die RAA Hoyerswerda mit Jugendangeboten und Bildungsarbeit Akzente gegen das rechte Klima vor Ort zu setzen. Zudem boten die Kulturfabrik und ein Club alternativen Jugendlichen Freiräume. In ihrem Umfeld entwickelte sich später auch eine antifaschistisch geprägte Jugendkultur. Seitdem wieder Geflüchtete in der Stadt untergebracht werden, engagiert sich zudem ein breites Bürgerbündnis für deren Integration und gegen fremdenfeindliche Proteste.

Filme

Gegen rechte Hetze

Überall in der Stadt finden sich rechte Hetze, neonazistische und rassistische Propaganda in Form von Aufklebern im öffentlichen Raum. Unermüdlich werden sie von Jörg Michel entfernt, wie er 2016 berichtete. 

Hoy Punks und Jugendkultur

In den 2000er Jahren entwickelte sich in Hoyerswerda eine kleine antifaschistische Jugend- und Punkszene. Plattenbauromantik im Dock 28.

Elsterwelle: Hoygida-Aufmarsch 2015

Der Lokalsender Elsterwelle berichtete über den Aufmarsch des Pegida-Ablegers Hoygida im Jahr 2015 und hörte sich auch bei der Gegenveranstaltung um.

Gedenkdemonstration der Initiative "Pogrom 91" im Jahr 2012

leftvision clips begleitete die Demonstration der Initiative "Pogrom 91" im Jahr 2012 mit der Kamera. (Quelle: YouTube)

Hintergrund

Verarbeitung und Prävention - Zivilgesellschaft und bürgerliches Engagement in Hoyerswerda

Im Nachgang der rassistischen Angriffe von 1991 gründeten sich in Hoyerswerda zahlreiche Projekte und Initiativen zur Demokratieförderung. Nachdem im Jahr 2014 erstmals wieder Geflüchtete in der Stadt untergebracht wurden, entstand ein Bürgerbündnis, um die Ankommenden zu unterstützten.

Bildung gegen rechte Gewalt – Vereinsarbeit und die Etablierung von Projekten in den 1990iger Jahren

Ein öffentliches Engagement gegen Rechts war in Hoyerswerda nach der Gewalteskalation im September 1991 denkbar schwierig. Wer sich vor Ort gegen Neonazis positionierte, musste mit massiven Anfeindungen rechnen. Einrichtungen wie der alternative Jugendklub „Laden“ wurden geschlossen, weil die Beteiligten, wie sich ein Sprecher gegenüber der taz vom 06.12.1991 äußerte, „keine Unterstützung von der Stadt“ erhielten, „die Rechtsradikalen sich auf uns eingeschossen haben“ und die „Besucher immer häufiger sagen: Nee, ich komme nicht mehr, ich hab‘ Angst.“

Um diesem Klima der Einschüchterung zu begegnen, schlossen sich im November 1991 einige Dutzend Menschen aus Hoyerswerda in der Bürgerinitiative „Dem Haß keine Chance“ zusammen. In breit angelegten Aufrufen zu öffentlichen Aktionen wollten die Initiatoren das Schweigen gegenüber rechtsradikalen Tendenzen brechen. Tatsächlich gelang es noch im Dezember 1991 mit Unterstützung der Lokalpolitik und gesellschaftlicher Verbände eine sogenannte „Lichterkette“ gegen rechte Gewalt auszurichten, an der sich, laut Lausitzer Rundschau vom 23.12.1991, etwa 1.000 BürgerInnen beteiligten.

Wie die Sächsische Zeitung vom 10.11.1992 berichtete, stieg die TeilnehmerInnenzahl bei einer ähnlichen Aktion im Jahr darauf sogar auf 2.000 Personen. Diese symbolischen Bekenntnisse konnten als erste Schritte zur Schärfung eines Problembewusstseins verstanden werden. Eine spürbare Veränderung der politischen Atmosphäre in der Stadt erreichten sie damals jedoch nicht.

Hoyerswerda galt ab 1992 als Schwerpunktregion im „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“ der Bundesregierung. Damit flossen erhebliche finanzielle Mittel für eine Restrukturierung der Jugendhilfe in die Stadt. Der Fokus konzentrierte sich dabei zunächst auf die Arbeit mit rechten Cliquen. Es entstanden aber auch erste präventive Angebote, die zur allgemeinen Demokratievermittlung und Toleranzförderung unter Kindern und Jugendlichen beitragen sollten. Im Jahr 1993 wurde eine „Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven“ (RAA Hoyerswerda) in der Stadt gegründet. Die ehemalige Schulleiterin Helga Nickich übernahm den Vorsitz des Vereins. In einem Interview mit der Lausitzer Rundschau vom 26.08.2014 schilderte sie den Beginn ihrer Tätigkeit: „Berufsbedingt hatte ich erst einmal die Kinder im Blick. Die Einbeziehung von Lehrern, Erzieherinnen und Eltern schlug dann die Brücke aus den Schulen in den Freizeitbereich der Kinder und Jugendlichen.“

Neben der Verwirklichung eigener Freizeit- und Schulprojekte mit Jugendlichen zielte die Arbeit der RAA von Beginn an auch auf die Unterstützung zivilgesellschaftlichen Engagements. So entstand eine enge Kooperation mit dem Ortsverband der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA Hoyerswerda). Deren Vorsitzende Regina Elsner hatte Mitte der 1990iger Jahre das Projekt „Wider das Vergessen“ ins Leben gerufen, in welchem Jugendliche aus Hoyerswerda die Möglichkeit erhielten mit ZeitzeugInnen des Nationalsozialismus in Kontakt zu treten. Wie die Lausitzer Rundschau in einem Artikel vom 07.03.2014 ausführte, stieß dieses Angebot von Beginn an auf große Resonanz. Bestärkt durch diese Erfahrungen baute Elsner das Projekt mit Hilfe vieler PartnerInnen und Spenden weiter aus. Bis heute finden in fünf Schulen Projekttage, Gedenkstättenfahrten, Buchlesungen und ZeitzeugInnen- Gespräche unter dem Motto „Wider das Vergessen“ statt. Daneben beteiligen sich SchülerInnen und VertreterInnen der Lokalpolitik an jährlichen Kundgebungen anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus. Elsner, die selbst in einem antifaschistischen Elternhaus aufwuchs und bis Ende 2017 auch den Vorsitz des Landesverbandes des VVN- BdA inne hatte, erhielt für ihr Engagement im Jahr 2014 den „Martha- Preis“ der Stadt Hoyerswerda.

„Ein Bündnis der Bürger“ - Die Gründung der „Initiative Zivilcourage Hoyerswerda“

Kundgebung der "Initiative Zivilcourage" nach
einem Angriff auf einen Asylsuchenden
in Hoyerswerda im Jahr 2014

Während sich die Arbeit der zivilgesellschaftlichen Vereine stetig professionalisierte, waren kritische Stimmen der Bürgerschaft gegenüber rechtsradikalen Bestrebungen in der Region weiterhin nur selten und vereinzelt wahrnehmbar. Die lokale Neonaziszene erhielt indes ab Mitte der 2000er Jahre neuen Auftrieb und sorgte mit zahlreichen Veranstaltungen und gewalttätigen Übergriffen für Schlagzeilen. Nachdem im September 2006 aus dem Umfeld der Jugendorganisation der NPD ein Aufmarsch angekündigt wurde, der die Geschehnisse von 1991 relativierte und antifaschistische Initiativen begannen die städtischen Gedenkpolitik öffentlichen zu kritisieren, formierte sich auch ein bürgerschaftlicher Zusammenschluss, der ebenfalls aktiv zu Gegenprotesten aufrief. Im Nachgang der Aktion gründeten die Beteiligten die „Initiative Zivilcourage“, um eine Stärkung des Engagements gegen rechts in Hoyerswerda zu fördern.

Flyer: Tag & Nacht der Toleranz 2017

Durch regelmäßige Treffen und Aktivitäten gelang es der Initiative im darauffolgenden Jahr ein Netzwerk aufzubauen, das von BürgerInnen, der Stadtverwaltung, Vereinen und öffentlichen Einrichtungen unterstützt wurde. So konnten auch größere Projekte, wie die seit 2001 von der Stadt ausgerichtete „Aktionswoche für mehr Toleranz“, neu belebt und um eine „Lange Nacht der Toleranz“ erweitert werden.

 

 

Proteste gegen "Hoygida" 2015 (Foto: Christian Jäger)

In diesem Rahmen finden bis heute jährlich Veranstaltungen an unterschiedlichen Orten und mit breiter Beteiligung statt, bei denen die Vermittlung demokratischer Werte im Vordergrund steht. Um öffentlich sichtbare Zeichen gegen rechte Aufmärsche, Antiasyl-Proteste oder Demonstrationen vom Pegida-Ableger „Hoygida“ zu setzen, wurden eigene Gegenkundgebungen ausgerichtet. Zudem organisierte die „Initiative Zivilcourage“ gemeinsame „Putz-Aktionen“, um neonazistische Propaganda in der Stadt zu entfernen.

Der selbstgesetzte Anspruch, „ein Bündnis der Bürger und auf keinen Fall ein Bündnis von Vereinen“ zu sein, den Jörg Michel, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Hoyerswerda- Neustadt und Sprecher der Initiative, gegenüber der Lausitzer Rundschau vom 15.07.2007 formulierte, fand auch in unbequemen und kritischen Positionierungen seine Bestätigung. Als die Stadt im Jahr 2012 auf Grund eines Neonaziüberfalls erneut bundesweite Aufmerksamkeit erregte, kritisierte die Initiative die zu spät gekommenen Reaktionen von Stadtverwaltung und Landespolitik und solidarisierte sich mit den Angegriffenen. Im Jahr darauf ermöglichte Michel der Initiative „Pogrom 91“, trotz der damals hitzig geführten Debatte um die Erinnerung an 1991, die Ausrichtung einer Veranstaltung im „Martin-Luther-King-Haus“ zum Thema: Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der DDR. Mit der „Initiative Zivilcourage“ setzte er sich zudem aktiv für die Forderung nach einem Denkmal für die Betroffenen des Pogroms ein und sorgte durch sein Engagement dafür, dass entsprechende Entwürfe aus der Bürgerschaft für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.

Ein zweites 91 verhindern – das Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ und die Unterstützung für Asylsuchende

Ende des Jahres 2013 zeichnete sich ab, dass erstmals seit 1991 wieder eine größere Anzahl von Asylsuchenden in Hoyerswerda untergebracht werden würde. Sowohl die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Stefan Skora, als auch die zivilgesellschaftlichen Kräfte vor Ort versuchten sich frühzeitig auf diese Situation einzustellen und begriffen sie nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance. Noch im November 2013 lud Skora die Bürgerschaft zu einer ersten „Bürgerversammlung“ über den geplanten Bau einer neuen Asylunterkunft ein, um einen öffentlichen und transparenten Dialog zu ermöglichen. Zeitgleich erfolgten erste Bestrebungen zur Gründung eines Netzwerks, das sich um eine Unterstützung und Integration der Ankommenden bemühen wollte. Auf Initiative von Pfarrer Michel und Grit Maroske, die sich ebenfalls schon vorher für Geflüchtete und gegen Fremdenfeindlichkeit engagiert hatte, formierte sich bereits einige Wochen später ein Bürgerbündnis unter dem Namen „Hoyerswerda hilft mit Herz“.

Durch das frühzeitige Engagement waren die etwa 80 UnterstützerInnen der Initiative in der Lage bereits unmittelbar nach der Ankunft der ersten Asylsuchenden im Winter 2014 koordinierte Unterstützungsleistungen anzubieten. Diese bestanden etwa in der Organisation von „Kontaktcafés“ und gemeinsamen Stadtspaziergängen, um AnsprechpartnerInnen vorzustellen und einen sozialen Austausch mit den Ankommenden zu erleichtern. Durch die Einrichtung einer Kleiderkammer wurde die Verteilung von Sachspenden aus der Bevölkerung erleichtert. Praktische Hilfe leistete das Bündnis auch durch die Ausrichtung von Sprachkursen und Freizeitaktivitäten, sowie Angeboten zur Kinderbetreuung und die Vermittlung von Patenschaften.

Um eine geregelte und dauerhafte Arbeit zu gewährleisten, stellte die Stadtverwaltung „Hoyerswerda hilft mit Herz“ eigene Räumlichkeiten zur Verfügung, die sich seit 2015 in einem Bürgerbüro auf der Dillinger Straße befinden. Im Jahr 2016 entstand zudem eine feste Projektstelle für die „Koordination der Flüchtlingshilfe“ bei der RAA Hoyerswerda, um die ehrenamtlichen HelferInnen zu entlasten. Sie wurde zunächst von Luise Dosch begleitet und im Februar 2017 an Birgit Radeck übergeben. Zusätzlich beteiligt sich Hoyerswerda am Modellprojekt „samo.fa“ (Stärkung der Aktiven aus Migrantenorganisationen in der Flüchtlingsarbeit), welches durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration mit je einer Koordinierungsstelle in 30 ausgewählten Städten gefördert wird. In diesem Rahmen werden unter Anderem Fortbildungen für interessierte BürgerInnen und FlüchtlingshelferInnen angeboten, Dialogkonferenzen und Sprachcafés organisiert sowie ein kontinuierlicher Austausch zwischen kommunalen Netzwerken und der Bundespolitik vorangetrieben.

Neben der konkreten Hilfe des Bürgerbündnisses war vor allem dessen öffentliche Positionierung für eine Willkommenskultur wichtig für Hoyerswerda: Noch bevor die rassistische Hetze neonazistischer Gruppen gegen die Errichtung des Heims laut wurde, erhob „Hoyerswerda hilft mit Herz“ eine deutlich wahrnehmbare Stimme, die sich der rechten Propaganda entgegen stellte. Die vielfältige Arbeit der Initiative wurde im Sommer 2017 durch das Berliner „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ ausgezeichnet. Die UnterstützerInnen sehen sich nach wie vor auch als politische Akteure. So kritisierte „Hoyerswerda hilft mit Herz“ bei einem Treffen mit dem damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich, laut einem Bericht der Lausitzer Rundschau vom 06.03.2017, die mangelnde Bereitschaft der Landesregierung, dem neuerlichen Erstarken rechter Tendenzen entgegenzutreten. Auch die Weigerung, sich an einem Abschiebestopp nach Afghanistan zu beteiligen, stieß bei den HelferInnen auf Unverständnis.

 

Quellen:

„Fremde hassen, weil wir Bundesbürger sind?“ Sächsische Zeitung vom 10.11.1992.

„Hoyerswerda hilft mit Herz“ auf Patensuche. Lausitzer Rundschau vom 20.10.2016.

„Man darf Ideen nicht überstülpen“. Lausitzer Rundschau vom 26.08.2014.

„Sind doch keine Ausländer mehr da“. taz vom 28.09.1992.

„Wir dürfen uns nicht noch einmal so blamieren“. Sächsische Zeitung vom 21.11.2013.

„Wir für Hoyerswerda“ freut sich über den regen Zuspruch. Sächsische Zeitung vom 26.01.2015.

Bedauern, Rechtfertigungen und Ausflüchte. Lausitzer Rundschau vom 27.11.2012.

Bürgerbündnis erhält Preisgeld für Integrationsarbeit. 13.12.2017.

Dem Haß keine Chance. Lausitzer Rundschau vom 23.12.1991.

Der Sprachlosigkeit ein Ende bereiten. Lausitzer Rundschau vom 15.09.2007.

Gedanken ums Gedenken. Sächsische Zeitung vom 13.02.2013.

Hoyerswerda hilft Flüchtlingen weiter mit Herz. Lausitzer Rundschau vom 12.08.2017.

Hoyerswerda hilft mit viel Herz. Lausitzer Rundschau vom 06.03.2017.

Initiative veranstaltet Frühjahrsputz. Lausitzer Rundschau vom 14.04.2009.

Internetseite des VVN-BdA Hoyerswerda unter: http://hoyerswerda.vvn-bda.de (Stand: 23.02.2018).

Internetseite der „Initiative Zivilcourage Hoyerswerda“ unter: http://www.zivilcourage-hoy.de (Stand: 23.02.2018).

Internetseite der RAA Hoyerswerda/Ostsachsen unter: http://www.raa-hoyerswerda.de (Stand: 23.02.2018).

Internetseite von samo.fa unter: http://www.samofa.de/hoyerswerda (Stand: 23.02.2018).

Interview mit Jens Leschner vom 08.08.2017.

Morddrohungen liegen im Briefkasten. taz vom 06.12.1991.

Konferenz eröffnet. taz vom 04.10.1993.

Staffelstab übergeben in der Flüchtlingshilfe. Lausitzer Rundschau vom 26.01.2017.

Wie weiter gegen rechts? Sächsische Zeitung vom 20.02.2013.

Ziel: Jugend in der Heimat halten. Lausitzer Rundschau vom 04.08.2015.

Hintergrund

Konzerte und Kaffeefahrten gegen rechte Gewalt - Alternative Jugendkultur und antifaschistische Aktionen in Hoyerswerda

Im Zuge der Ausschreitungen vom September 1991 entwickelte sich Hoyerswerda zu einer „rechten Hochburg“. Die wenigen alternativen und linken Strukturen vor Ort hatten größte Mühe, sich gegen die alltäglichen Angriffe von Neonazis zur Wehr zu setzen. Viele zogen sich bald ernüchtert zurück oder verließen die Stadt. Das Konfliktpotenzial zwischen den Jugendgruppen blieb jedoch auch während der 1990er Jahre bestehen und entlud sich immer wieder in Auseinandersetzungen. Ab Mitte der 2000er Jahre begannen alternative Jugendliche dem tristen Alltag und neonazistischen Strukturen in Hoyerswerda erneut etwas entgegenzusetzen. Durch vielfältige Aktionen und Veranstaltungen solidarisierten sie sich mit Betroffenen rechter Gewalt und versuchten eigene Freiräume zu schaffen.

Resignation und Abwehrkämpfe – Die 1990er Jahre

Dass sich die Lage für alternative Jugendliche in Hoyerswerda nach der Vertreibung von Asylsuchenden und VertragsarbeiterInnen zuspitzen würde, war schon in den ersten Wochen nach dem rassistischen Pogrom absehbar. Mehrfach wurde der als „links“ geltende Jugendclub „Laden“ von Neonazis überfallen. In diesem Klima der Angst brachten nur noch Wenige den Mut auf, sich öffentlich gegen die hegemonial auftretende rechte Jugendkultur in der Stadt zu positionieren. Als der Stadtverordnete Wolfgang Reinheckel im November 1991 zur Gründung eines „Freundeskreises für Ausländer“ aufrief, folgten der Einladung laut einem Bericht der Sächsischen Zeitung zunächst nur etwa 50 Personen, von denen sich die Hälfte der „Antifa- und Umweltgruppen“ zurechnete. Dabei herrschte, wie es in dem Artikel heißt, „besonders unter den anwesenden Jugendlichen (…) Angst und Unsicherheit (...). Einige hatten schon Morddrohungen der rechten Szene erhalten (…).“

Dennoch ließen sich etwa die Mitglieder des Vereins „Arbeitskreis Umwelt und Frieden“ zunächst nicht einschüchtern und gründeten nach Verhandlungen mit der Stadt sogar ein „Umweltzentrum“ im besetzten „Faxenhaus“ in der Altstadt. Rasch wurde auch dieses Wohn- und Kulturprojekt zum Ziel von Angriffen. Zwei Beteiligte schilderten im Jahr 2001 gegenüber der Jungen Welt, wie prekär sie ihre damalige Situation erlebten: „(...) Die permanente Angst, auch am hellichten Tag überfallen zu werden, hat nicht aufgehört. Zwei Jahre lang. In einer Mehr-oder-weniger-Kleinstadt spricht sich (...) schnell rum, wer im ,Laden‘ oder im ,Faxenhaus‘ was macht. (…) Zuerst haben wir noch diese Spielchen betrieben, wie Fenster verriegeln, Fenster nicht mehr einglasen, heißes Wasser neben den Fenstern bereitstellen. Dann haben wir entschieden: keine extreme Gegengewalt. Und wenn Daten sind, wie 3. Oktober, 20. April – raus aus dem Haus. Gar nicht drauf einlassen. Doch jeder Hausbewohner hatte so seine Erlebnisse, keiner konnte da mehr schlafen, schließlich ist die Gruppe zerfallen. (…) Beide Häuser sind dann von uns dicht gemacht worden. (…) Du konntest da nicht mehr leben. Du konntest nicht mehr durch die Straßen gehen, ohne Angst zu haben. Man hat sich dann auch anders angezogen, das ganze persönliche Leben mußte man komplett darauf abstimmen, daß man heil aus der ganzen Geschichte wieder rauskommt.“

Auf Grund dieser Erfahrungen verließen viele engagierte Menschen aus diesem Kreis Hoyerswerda. Andere gründeten später die „Kulturfabrik“. Einer Gruppe jüngerer Personen, die sich aktiv gegen Nazis organisierte, gelang es in einem eigenen Jugendclub Fuß zu fassen. Aus dem „Linksabbieger“ ging schließlich das „Dock28“ hervor, dass sich ebenfalls auf die Ausrichtung von Konzerten und Kulturveranstaltungen fokussierte. Die fortgesetzten Angriffe von Neonazis führten in den 1990er Jahren jedoch nicht nur zu einem Rückgang politischer Aktivitäten. Es gab auch Versuche, deren Dominanz auf der Straße durch direkte Gegenaktionen zurückzudrängen, um eine weitere Eskalationen der Gewalt einzudämmen.

Als etwa Mike Zerna im Februar 1993 bei einem Überfall auf einen Jugendclub getötet wurde, versammelten sich laut den Recherchen von Christian Wowtscherk etwa 50 bis 100 Personen der linken Szene um einen Trauermarsch durchzuführen. Im Zuge der Demonstration kam es auch zu Angriffen auf das Rathaus und Polizeikräfte, worauf hin die Veranstaltung beendet wurde. Gleichzeitig belagerten, laut Wowtscherk, etwa 20 Vermummte einen Jugendklub, warfen Scheiben ein und schossen Leuchtspurmunition in die Räumlichkeiten. Die Vorfälle führten dazu, dass sich VertreterInnen von Stadt und Kirche erneut dafür einsetzten, zwischen den polarisierten „Lagern“ zu vermitteln. Obwohl solche Aktionen für viel Kritik sorgten und von einem Großteil des alternativen Umfelds in Hoyerswerda abgelehnt und verurteilt wurden, dürften sie mit dazu beigetragen haben, eine Art Konsens zu etablieren, der den Akteuren der rechten Szene zumindest deutlich machte, dass sie auch in Hoyerswerda mit Reaktionen zu rechnen hatten, wenn sie Andersdenkende angriffen.

Wie etwa in einem Bericht der Sächsische Zeitung vom 30.03.1998 zu lesen ist, kam es auch in den Folgejahren zu derartigen Vorkommnissen. Demnach hatten sich zu diesem Zeitpunkt einmal mehr Gerüchte verbreitet, dass Neonazis das „Dock 28“ angreifen wollten, woraufhin „laut Polizeiangaben etwa 100 Jugendliche lautstark durch die Straßen in Richtung Bonhoeffer Straße“ zogen. „In der dortigen Bierbar Wassermann vermuteten sie die ,Gegner‘. Eine Scheibe wurde zerschlagen und es kam im Park zu regelrechten Treibjagden. Laut Augenzeugen wurde ein Jugendlicher mit einer Eisenstange zusammengeschlagen.“ Wenig später trafen „gut 40 Beamte mit zehn Fahrzeugen“ vor dem „Dock 28“ ein, „wo sich ein Großteil der Jugendlichen wieder versammelt hatte. Die Straße wurde beidseitig gesperrt. Verdächtige wurden in den Bussen verhört, Personalien festgestellt und neun junge Leute vorläufig festgenommen. (…) Die Stimmung am Vereinshaus war explosiv (...), immer wieder riefen Jugendliche ,Nazis raus- Bullen raus‘. (…) Mit verstärkter Streifenpräsenz versuchte die Polizei, weitere Taten in angeheizter Stimmung zu verhindern.“

Demonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit – die 2000er Jahre

Trotz der schwierigen Lage in den 1990iger Jahren blieben Orte wie die „Kulturfabrik“ und das „Dock 28“ beständige Rückzugsräume für alternative Jugendliche in Hoyerswerda. Eine gestiegene gesellschaftliche Sensibilisierung für Themen wie Rassismus und Rechtsradikalismus sorgte zudem dafür, dass sich mit der Zunahme neonazistischer Tendenzen ab Mitte der 2000er Jahre auch wieder verstärkt Jugendliche in der Region zusammenfanden, um sich gemeinsam gegen rechte Gewalt zu engagieren.

Demonstration der AntifaAG:
"Hoyerswerda – 15 Jahre später"

Im Jahr 2006 wurde der 15. Jahrestag des rassistischen Pogroms von 1991 von jenem Umfeld zum Anlass genommen, um zusammen mit antifaschistischen Gruppen eine Demonstration in Hoyerswerda auszurichten. Diese kritisierte den Umgang der Stadt mit den Ereignissen und klärte über rechte Strukturen vor Ort auf. Im Nachgang gründete sich die „AntifaAG Hoyerswerda“, die auf ihrer Internetseite über die Geschehnisse von damals sowie über aktuelle Entwicklungen der lokalen Neonaziszene berichtete. Außerdem dokumentierte eine Chronik fortlaufend rechte Übergriffe im Stadtgebiet.

Sächsische Zeitung im Januar 2007

Anstatt die Aktionen der Neonazis mit Gegengewalt zu beantworten, wurde durch zahlreiche Pressemitteilungen, Interviews, Leserbriefe und Flugblattaktionen versucht, die Öffentlichkeit über dieses Problem zu informieren und Verantwortliche aus Stadtverwaltung und Polizei zum Handeln aufzufordern. Des Weiteren beteiligten sich in den folgenden Jahren zahlreiche Menschen an antifaschistischen Demonstrationen und Kampagnen im Umland. Zudem wurden Neonaziaufmärsche von Gegenprotesten begleitet.

Antifa-Party in Hoyerswerda 2006

Durch die enge Bindung an ein subkulturelles Millieu konnten außerdem zahlreiche Veranstaltungen, Konzerte und Parties in Hoyerswerda ausgerichtet werden, auf denen rechtes Gedankengut nicht willkommen war und deren Einnahmen für Solidaritätszwecke und weitere Aktionen gespendet wurden.

Antifa-"Kaffeefahrt" zum Wohnort des
rechtspopulistischen Politikers Henry Nietzsche

So fand etwa im Juni 2008 eine antifaschistische „Kaffeefahrt“ statt, in deren Rahmen das NPD-Bürgerbüro in Kamenz sowie der Wohnort des rechtspopulistischen Politikers Henry Nietzsche besucht wurden. Anschließend versammelten sich die TeilnehmerInnen zu einer spontanen Demonstration in Hoyerswerda. Auch wenn durch den fortgesetzten Wegzug engagierter Menschen und fehlende Unterstützung durch Polizei und städtische Institutionen keine dauerhafte Etablierung einer antifaschistischen Jugendkultur in Hoyerswerda erreicht werden konnte, waren deren vielfältige Aktivitäten ein Beispiel dafür, rechten Umtrieben trotz aller Widrigkeiten auch in der Provinz nicht das Feld zu überlassen. Möglich wurde dies jedoch nur, weil sich Menschen schon vorher für den Erhalt alternativer Strukturen eingesetzt hatten und nach wie vor einsetzen.

 

Quellen:

Bilder: AntifaAG Hoyerswerda

1991-2001: Kein Vergeben, kein Vergessen! Interview in der Jungen Welt vom 06.12.2001.

Aktion von Linken vor Haus von Henry Nietzsche. Sächsische Zeitung vom 02.06.2008.

Angstzonen mitten in Hoyerswerda. Lausitzer Rundschau vom 02.11.2007.

Antifa verteilte 3000 Flugblätter. Sächsische Zeitung vom 11.01.2007.

Besser spät als nie! Zweite erfolgreiche Antifa-Soliparty in Hoyerswerda. Bericht der aag-hoyerswerda. (http://aaghoyerswerda.blogsport.de/2008/04/23/besser-spaet-als-nie-zweite-erfolgreiche-antifa-soli-party-in-hoyerswerda/)(zuletzt aufgerufen am 05.12.2017).

Bekleidungsverkauf sorgt für Konflikte. Lausitzer Rundschau vom 30.09.2008.

Dennoch: „Dem Haß keine Chance!“. Sächsische Zeitung vom 14.11.1991.

Durchs wilde Ostsachsen. Jungle World vom 12.06.2008.

Gegen einen nationalen Konsens. Sächsische Zeitung vom 09./10.09.2006.

Hoyerswerda: Repression nach friedlicher Sitzblockade gegen Naziaufmarsch im September 2006. Pressemitteilung der AntifaAG Hoyerswerda vom 28. März 2007.

Kaufst du bei Blue Dreams? Flyer der AntifaAG Hoyerswerda und der Initiative Zivilcourage Hoyerswerda.

Linke demonstrieren in Kamenz und Oßling. Sächsische Zeitung vom 02.06.2008.

Polizei verhinderte eine Straßenschlacht. Sächsische Zeitung vom 30.03.1998.

Wenig Umdenken in eineinhalb Dekaden. Sächsische Zeitung – September 2006.

Wowtscherk, Christoph (2014): Was wird wenn die Zeitbombe hochgeht? Göttingen: V&R unipress, S. 238-241.

Teile diese Seite