Zu Beginn der 1990er Jahre erreichte das Ausmaß rechtsradikaler Gewalt im wiedervereinigten Deutschland eine neue Dimension. Täglich griffen Neonazis MigrantInnen, alternative Jugendliche oder andere Menschen an, die nicht in ihr Weltbild passten – oft mit tödlichen Folgen. Rechte Gewalt war dabei kein rein ostdeutsches Phänomen. In den Medien wurde eine z.T. von Vorurteilen und Rassismus aufgeladene Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland geführt, im Jahr 1993 schließlich das Asylrecht verschärft.
Filme
Hintergrund
Samuel Kofi Yeboah wird bei einem Brandanschlag in Saarlouis (Saarland) ermordet
Als in Hoyerswerda das Wohnheim der Vertragsarbeiter angegriffen wurde, starb der Mann aus Ghana in Saarlouis bei einem rassistisch motivierten Brandanschlag. Seit mehreren Jahren setzt sich die Antifa Saar für das Gedenken an Samuel Yeboah im Saarland ein.
Ein Gastbeitrag der Antifa Saar aus dem Jahr 2016.
Rassistisch motivierte Gewalt – auch in Westdeutschland mit tödlichen Folgen
Während sich im September 1991 im sächsischen Hoyerswerda der rechte Mob austobte, schritten auch im tiefen Westen des wiedervereinigten Deutschlands Nazis und RassistInnen zur mörderischen Tat.
In der Nacht vom 18. auf den 19. September 1991 schütteten Unbekannte TäterInnen flüssigen Brennstoff in das Treppenhaus eines Geflüchtetenwohnheims im saarländischen Saarlouis-Fraulautern und zündeten ihn an. Die hölzerne Treppe des Gebäudes brannte sofort lichterloh, das Feuer griff schnell auf die Wände und einige Zimmer über. Während sich 16 Geflüchtete aus dem Erdgeschoss bzw. aus dem ersten Stock über das Dach eines Anbaus retten konnten, sprangen zwei weitere Personen aus Nigeria, die im Dachgeschoss des Hauses gewohnt hatten, aus dem Fenster und kamen mit leichten Verbrennungen und Knochenbrüchen davon. Doch der 27jährige Samuel Yeboah, der als Hausmeister in dem Wohnheim tätig war, schaffte es nicht mehr hinaus. Obwohl ihn die Feuerwehr noch lebend aus dem Haus bergen konnte, verstarb er kurze Zeit später in einem Saarlouiser Krankenhaus.
Samuel Yeboah von der Bundesregierung als Opfer rechter Gewalt anerkannt
Die TäterInnen wurden nie gefasst und trotz einer zwischenzeitlich ausgesetzten Belohnung von 20.000 D-Mark gingen keine konkreten Hinweise ein, sodass die Ermittlungen schließlich ergebnislos eingestellt wurden.
Bis heute weigert sich die Stadt Saarlouis daher, den offenkundig rassistischen Hintergrund des Brandanschlages anzuerkennen und vertritt die Ansicht, dass mit einer schlichten Gedenkplatte am Grab Samuel Yeboahs, die den rassistischen Hintergrund ausklammert, genügend getan sei. In dieser Verweigerungshaltung lässt sich die SPD-geführte Stadtverwaltung bis zum heutigen Tage nicht beirren, obwohl Samuel Yeboah mittlerweile sogar in der offiziellen Zählung der Bundesregierung – die bekanntermaßen alles andere als vollständig ist – als Opfer rechter Gewalt geführt wird.
Mehrere Angriffe auf Geflüchtete und gefährliche Naziszene in den 1980er und 1990er Jahren
Die saarländische Stadt Saarlouis war in den 1980er und 1990er Jahren eine Hochburg neonazistischer Skinheads. Die Saarlouiser Naziskins prägten das Stadtbild, ständig kam es zu Übergriffen. In einem Interview des Magazins „Stern“ im Januar 1986 äußerten Saarlouiser Neonazis unverhohlen ihre Bereitschaft, Menschen töten zu wollen. Fünf Jahre später wurden diese Ankündigungen mit dem Mord an Samuel Yeboah Realität.
Der Anschlag war bereits der fünfte Angriff auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis seit 1987. Einen Monat zuvor hatte es bereits in einer Unterkunft in Saarlouis-Roden gebrannt und schon kurz darauf griffen bewaffnete Naziskins eine Unterkunft in der Innenstadt an. Während der Welle rassistischer Pogrome und Übergriffe Anfang der 1990er Jahre waren Saarlouiser Rassist_innen ganz vorne mit dabei. Dennoch leugnet die Stadtverwaltung bis heute, dass ihre Stadt, die man gerne als die „Heimliche Hauptstadt des Saarlandes“ bewirbt, ein Naziproblem hat. Sie verweigert sich einer vorbehaltlosen Aufklärung ihrer jüngeren Geschichte und somit auch der Aufarbeitung des rassistischen Mordes an Samuel Yeboah.
Mehrjährige Auseinandersetzung um Erinnerung an Samuel Yeboah
Seit nunmehr 25 Jahren versuchen zahlreiche Initiativen die Erinnerung an Samuel Yeboah wach zu halten und setzen sich dafür ein, dass der rassistische Hintergrund der Tat endlich als solcher benannt wird. Seit 25 Jahren stoßen sie dabei immer wieder auf den Widerstand einer Stadtverwaltung, die lieber den Anmelder einer Demonstration zum 10. Todestag Samuel Yeboahs wegen der nicht genehmigten Anbringung einer Gedenktafel an der Saarlouiser Rathaus-Fassade juristisch verfolgen lässt, anstatt sich mit den Strukturen, die zu den Mordanschlägen auf die Unterkünfte führten, auseinanderzusetzen.
Zum 25. Todestag Samuel Yeboahs erneuern wir unsere Forderungen nach vorbehaltloser Aufarbeitung der Tat sowie einem würdigen, öffentlichen Gedenken an Samuel Yeboah.
Weitere Informationen:
Virtueller Gedenkstein in Erinnerung an Samuel Yeboah: http://www.samuel-yeboah.de
Website der Antifa Saar: http://www.antifa-saar.org
Quellen:
Anerkennung Samuel Yeboahs als Opfer rechter Gewalt:
Deutscher Bundestag. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Petra Pau, Wolfgang Neskovic, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 16/12005 (S. 7). Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/141/1614122.pdf (zuletzt aufgerufen am 13.09.2016).
Hintergrund
„Hoyerswerda als Vorbild“ – Brandanschlag in Hünxe 1991
Zu Beginn der 1990er Jahre waren Anschläge gegen Geflüchtete in der Bundesrepublik an der Tagesordnung. Der nachfolgende Text erinnert an einen Fall, der damals wenig Beachtung fand. Bei einem Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Hünxe (Nordrhein-Westfalen) am 3. Oktober 1991 wurden zwei Mädchen im Alter von sechs und acht Jahren lebensgefährlich verletzt. Bis heute kämpfen die Betroffenen mit den Folgen der Tat.
Der Beitrag von Paula Tell und Sarah Kaminski ist u.a. auf der Webseite des apabiz veröffentlicht.
In der Nacht zum 3. Oktober 1991 werden bei einem Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete im nordrheinwestfälischen Hünxe zwei Kinder verletzt. Die drei Täter, André C., Jens G. und Volker L. begeben sich, nachdem sie gemeinsam den „Tag der deutschen Einheit“ gefeiert haben, mit selbst gebauten Brandsätzen zu einem Wohnheim, in dem Geflüchtete untergebracht sind. Ein Brandsatz zündet in einem Zimmer, in dem drei Kinder schlafen. Zwei Schwestern erleiden schwerste Brandverletzungen, die sechsjährige Mukades muss ins Krankenhaus nach Duisburg gebracht werden. Ihre achtjährige Schwester Zainab hat so schwere Verbrennungen, dass sie in eine Spezialklinik nach Hamburg geflogen wird. Die Familie war 1988 aus dem Libanon geflohen, um in Deutschland ein sicheres Leben zu suchen.
In Hünxe gab es schon länger eine Neonazi-Skinhead-Szene, in der sich auch die drei Täter bewegten. Einer der Täter, Volker L., zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alt, hatte laut Medienberichten in seinem Zimmer eine Hakenkreuzfahne, NS-Propagandamaterial und ein Hitlerbild hängen. Im Rundbrief der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene (HNG) schreibt sein Zellennachbar mehrfach über den Brandanschlag und fordert die LeserInnen auf, zum Prozess zu gehen, da ein „Schauprozess allererster Güte kommen dürfte“. Gegenüber der Polizei äußerten die Täter, dass ihnen Hoyerswerda „als Vorbild gedient“ habe und sie „ein Zeichen setzen“ wollten. Nach der Tat rufen Neonazis bei der Familie zu Hause an und bedrohen sie mit den Worten: „Diesmal seid ihr davongekommen, aber nächstes Mal passiert Euch Schlimmeres!“
Berichterstattung im SPIEGEL
Insgesamt gab es um den 3. Oktober 1991 über 20 gewalttätige Übergriffe gegen Geflüchtete, wie die taz am 4. Oktober meldet. Im Spiegel erscheint am 14. Oktober (Nr. 42/1991, online abrufbar) ein Artikel von Cordt Schnibben über den Anschlag in Hünxe. Aber nicht Empathie mit den Opfern ist ihm wichtig, sondern er beklagt die vermeintliche Ausgrenzung von deutschen Kindern in Hünxe durch „Asylanten“ und den vierjährigen Bruder von Mukades und Zainab: „Die drei deutschen Jungen, die vor der alten Kirche von Hünxe Fussball spielen, können einem schon Leid tun. So schön sie auch flanken und schießen, immer läuft ein kleiner schwarzgelockter Zwerg in die Bahn, nimmt den Ball mit den Händen auf oder tritt dem Torwart in die Waden. (…) Nun wäre es eigentlich höchste Zeit, dem Kleinen was an die Ohren zu geben, aber die drei, mehr als doppelt so groß, flüchten fluchend vor Mohammed (…). Die Jugendlichen wissen, sie können dem Monster mit den leuchtenden Augen nichts tun. Sie haben Mohammed Saado vor sich, Mitglied der prominentesten Asylantenfamilie Deutschlands.“
„Das Asylrecht geht zu Lasten des deutschen Volkes“
Die Rhetorik des Artikels spiegelt wider, wie zu Beginn der 1990er Jahre der Diskurs um Flucht und Asyl auch in den deutschen Medien geführt wurde. Nicht zuletzt in Gesprächen mit Bürger_innen aus Hünxe nach dem Anschlag wird der normale rassistische Alltag in einem westdeutschen Dorf deutlich: Die Jungs seien eigentlich ganz in Ordnung und die Medienberichterstattung eine Lügerei. Zwei Wochen später wird im Stern ein Kriminaloberrat beim BKA zitiert: „Der Mißbrauch des Asylrechtes ist die Normalität. Das geht zu Lasten des deutschen Volkes.“ Er rät Bürgern, „den Aufstand zu proben“. Drei Tage vor dem Anschlag in Hünxe hatten CDU, SPD und FDP im Stadtrat eine Resolution verabschiedet, in der eine „konsequente Abschiebepraxis“ eingefordert wurde.
Beim Prozess gegen Volker L., André C. und Jens G. sind sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung darin einig, dass die Schuldfähigkeit der Angeklagten aufgrund des Alkoholkonsums erheblich eingeschränkt gewesen sei. Die drei Täter werden wegen schwerer Brandstiftung und schwerer Körperverletzung zu Jugendstrafen von dreieinhalb bis fünf Jahren verurteilt. André C. nimmt sich nach der Haft das Leben. Volker L. scheint untergetaucht zu sein. Nur Jens G. lebt nach seiner Entlassung ganz in der Nähe von Hünxe, bei den Opfern hat er sich nie entschuldigt. In einer Reportage über Hünxe wird auch 23 Jahre nach dem Brandanschlag deutlich, dass der Anschlag die Schwestern nach wie vor begleitet, zum einen durch physische Schmerzen und zum anderen durch die psychische Belastung. Zainab konnte in der Hamburger Klinik aufgrund der Entfernung nur selten Besuch von ihren Eltern bekommen. Auch später in ihrer Schulzeit wurde sie ausgelacht und ausgegrenzt, aufgrund ihrer Brandnarben.
„Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land“
Frappierend erinnern die Worte von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung vom 27. Mai 1992 anlässlich des Gerichtsprozesses an die aktuelle Debatte: In den Tagen nach dem Anschlag seien die Politiker „auf Kuscheltour gegangen, haben Asylbewerber besucht und Kinder auf den Arm genommen. Das ist schon wieder vorbei. Nach der Schrecksekunde wurde die Asyldebatte noch übler fortgesetzt als vorher. Was also soll man den Opfern sagen? Trösten wir sie mit einem Wort des Bundeskanzlers zum Tag der deutschen Einheit: ,Deutschland ist ein ausländerfreundliches Land‘.“
Quellen:
„Hoyerswerda als Vorbild“ – Erinnerung an den Brandanschlag von Hünxe im Oktober 1991. Verfügbar unter: https://www.apabiz.de/2015/hoyerswerda-als-vorbild/ (zuletzt aufgerufen am 28.06.2024).